ZA-Briefing - Warum das BVerwG irrt

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Inhalt

Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,

Sie sind kieferorthopädisch tätig? Dann wissen Sie, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden hat, dass neben der Geb.-Nr. 6100 GOZ für das Klebebracket die Geb.-Nr. 2197 GOZ für dessen adhäsive Befestigung nicht berechnungsfähig ist (Az.: 5 C 11.19 vom 5. 3. 2021), sondern es sich bei der adhäsiven Befestigung lediglich um eine besondere Ausführung des Klebebrackets handelt. Ungeachtet dieser höchstrichterlichen Entscheidung sind weiterhin gerichtliche Verfahren zu dieser Problematik anhängig.

In den Jahren vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hatte es zahlreiche Urteile gegeben, in denen diese Nebeneinanderberechnung bestätigt wurde. Man durfte schon fast von einer gefestigten Rechtsprechung ausgehen. Im Nachgang zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde deshalb insbesondere die Zuständigkeit des Gerichts in Frage gestellt, das Verhältnis von Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit diskutiert oder auch das Versagen des Verordnungsgebers, für eine auskömmliche Honorierung zahnärztlicher Leistungen Sorge zu tragen. Das sind wichtige Themen, indes, sie beschäftigen sich nicht mit der wesentlichen Frage, nämlich, ob die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Einklang mit den gebührenrechtlichen Vorgaben der Gebührenordnung für Zahnärzte steht. Ich möchte heute versuchen, Ihnen darauf eine Antwort geben.

Adhäsive Befestigung

1988 bei Erlass der GOZ hatte die adhäsive Befestigung in der Zahnheilkunde noch keine Praxisreife erlangt. Da wir dem Verordnungsgeber keine prophetischen Fähigkeiten unterstellen können und wollen, blieb die adhäsive Befestigung bei der am 1. 1. 1988 in Kraft getretenen GOZ deshalb in der Bewertung zahnärztlicher Leistungen, die gegebenenfalls mit einer adhäsiven Befestigung erbracht werden, unberücksichtigt. Bei der Novellierung der GOZ im Jahr 2012
hat der Verordnungsgeber dem wissenschaftlichen und praxisrelevanten Fortschritt Rechnung getragen und eine Regelungslücke erkannt. Diese wurde allerdings
nicht dadurch geschlossen, dass zahlreiche Leistungen, die eine adhäsive Befestigung einschließen (können), neu im Gebührenverzeichnis beschrieben wurden, sondern durch die Aufnahme der Geb.-Nr. 2197 GOZ: Gemäß der Amtlichen Begründung (Bundesratsdrucksache 566/11 vom 21. 9. 2011) dient die Aufnahme der Geb.-Nr. 2197 GOZ nicht der Abgeltung einer Befestigung, sondern des Mehraufwands, der bei adhäsiver Befestigung über den bei einer konventionellen
Befestigung hinaus entsteht. Folgerichtig findet die Geb.-Nr. 2197 GOZ Anwendung bei Leistungen, die bereits eine konventionelle Befestigung beinhalten. Zum Beispiel können Kronen, Brückenanker und Einlagefüllungen sowohl mit Zinkphosphat- oder Polycarboxylatzement „geklebt“, aber eben auch adhäsiv befestigt werden. Diese Nebeneinanderberechnungen wurden meines Wissens nie beanstandet. Würde man derartige Leistungskombinationen ablehnen, gäbe es keinen maßgeblichen Anwendungsbereich für die Geb.-Nr. 2197 GOZ. Die Aufnahme der Geb.-Nr. 2197 GOZ ins Gebührenverzeichnis wäre nahezu sinnfrei. Die beispielhafte Aufzählung von Leistungen unter der Geb.-Nr. 2197 GOZ, neben denen die adhäsive Befestigung gesondert berechnet werden kann, ist ausdrücklich nicht abschließend. Es bleibt deshalb ein Rätsel, warum es sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ausgerechnet bei der Eingliederung eines Klebebrackets mittels adhäsiver Befestigung und Ansatz der entsprechenden Gebührennummern um eine Doppelberechnung handeln soll.

Bestandteil oder besondere Ausführung

Die maßgebliche Bestimmung hierzu ist Paragraf 4 Abs. 2 GOZ: Eine Leistung ist nur dann Bestandteil einer anderen Leistung und nicht gesondert berechnungsfähig, wenn die eine Leistung von der Leistungsbeschreibung der anderen Leistung erfasst wird und in deren Bewertung berücksichtigt worden ist. Beide Bedingungen müssen erfüllt sein. Nun mag man die adhäsive Befestigung vielleicht nach dem Wortbestandteil „Klebe“ in Klebebracket noch der Geb.-Nr. 6100 GOZ subsumieren. Ein Vergleich der Bewertungen gestattet das jedoch nicht. Die Geb.-Nr. 6100 GOZ ist mit 165 Punkten, die Geb.-Nr. 2197 GOZ mit 130 Punkten dotiert. Die adhäsive Befestigung würde daher wesentliche Anteile der Vergütung des Klebebrackets aufzehren. Da die Geb.-Nr. 6100 GOZ auch noch die Material- und Laborkosten für Standardmaterialien beinhaltet, verbliebe für die zahnärztliche Leistung nur eine verschwindend geringe Vergütung. Da gemäß der Amtlichen Begründung zur GOZ ’88 (Bundesratsdrucksache 276/87 vom 26.06.1987) die Punktzahlen der Leistungen das bewertungsmäßige Verhältnis der Leistungen zueinander ausdrücken, stünde die restliche Vergütung für die zahnärztliche Leistung „Eingliederung eines Klebebrackets“ in einem eklatanten Missverhältnis zu den anderen Leistungen des Gebührenverzeichnisses.

Das Bundesverwaltungsgericht ordnet nun aber die adhäsive Befestigung nicht als „Bestandteil“, sondern als „besondere Ausführung“ bei der Eingliederung eines Klebebrackets ein. Auch dieser Beurteilung muss ich widersprechen. „Besondere Ausführungen“ sind lt. der vorstehend zitierten Amtlichen Begründung in Anwendung des Steigerungssatzes gemäß Paragraf 5 GOZ zu berücksichtigen. Addiert man nun unter Anwendung des jeweils 2,3-fachen Steigerungssatzes zu den
21,34 Euro für die Geb.-Nr. 6100 GOZ 16,82 Euro für die im Zusammenhang mit anderen Leistungen unbeanstandete Geb.-Nr. 2197 GOZ, und wollte die entstehende Vergütung ausschließlich mit der Geb.-Nr. 6100 GOZ darstellen, so wäre der 4,1-fache Steigerungssatz erforderlich. Dieser liegt jedoch außerhalb des Gebührenrahmens. Wie aufgezeigt, bietet selbst eine Ausschöpfung des Gebührenrahmens unter diesen Voraussetzungen keine adäquate Honorierung. Außerdem, ein besonders wichtiger Aspekt, wären Sie bei derartigem Vorgehen nicht mehr in der Lage, andere, einen erhöhten Steigerungssatz begründende Faktoren in die Gebührenfindung einfließen zu lassen. Ohnehin hat der Bundesgerichtshof (Az.: III ZR 344/03 vom 13. 5. 2004) in Bezug auf die GOÄ bereits entschieden, dass die Aufgabe des Steigerungssatzes nicht darin besteht, bei medizinischem Fortschritt eine angemessene Vergütung zu gewährleisten, sofern eine andere Berechnungsoption besteht. Und eine solche gibt es in diesem Fall nicht nur analog, sondern sogar originär in Form der Geb.-Nr. 2197 GOZ.

Perspektive
Es gibt somit stichhaltige Argumente gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Dennoch werden Verwaltungsgerichte unterer Instanzen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vermutlich kritiklos übernehmen, um sich nicht dem Risiko auszusetzen, dass im Rahmen von Revisions- oder Berufungsverfahren ihre Urteile aufgehoben werden. Zivile Gerichte sind nicht an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gebunden, trotzdem sicherlich nicht völlig frei von Beeinflussbarkeit. Während niedrigere Instanzen der Rechtsprechung scheinbar problemlos Urteile mit völlig gegensätzlichen Ergebnissen fällen können, besitzt der Gesetzgeber ein Interesse daran, dass die Entscheidungen der obersten Gerichtshöfe einheitlich sind. Zu diesem Zweck existiert ein Gemeinsamer Senat. Er besteht aus Richtern der Senate, die zuvor eine Rechtsfrage unterschiedlich beantwortet haben. Das Ergebnis dieses Gemeinsamen Senats dient der Vereinheitlichung der Rechtsprechung. Ein Tätigwerden dieses Senats setzt in unserem Fall voraus, dass die Nebeneinanderberechnung auf zivilrechtlichem Weg bis zum Bundesgerichtshof gelangt und von diesem als berechtigt angesehen wird. Ob es dazu kommt und wie dann letztendlich das Ergebnis aussähe, ist ungewiss.

Konsequenz

Sie können jetzt die Heldin oder der Held sein und sich durch die Instanzen bis zum Bundesgerichtshof hochkämpfen. Dann können Sie Sich meines Respekts sicher sein. Oder Sie gehen auf Nummer sicher und treffen eine Vereinbarung gemäß Paragraf 2 Abs. 1 und 2 GOZ über die Geb.-Nr. 6100 GOZ in einer Höhe, die Ihnen bei adhäsiver Befestigung des Klebebrackets eine angemessene Vergütung gewährt. Vielleicht auch gleich über die kieferorthopädischen Grundpositionen, denn da gibt es ja noch den festsitzenden Retainer. Aber das ist ein anderes Thema.

Haben Sie Anregungen oder Themenwünsche? Schreiben Sie mir an presse@zaag.de

Mit freundlichen und kollegialen Grüßen
Dr. Michael Striebe, GOZ-Berater der ZA