SARS-CoV-2 und die Kriterien des § 5 Abs. 2 GOZ

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Die pandemische Verbreitung der SARS-CoV-2 Infektion stellt auch die deutsche Zahnärzteschaft vor Herausforderungen, die bisher nicht vollständig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen sind. Der Mehraufwand durch die Grunderkrankung, erhöhte Preise für Desinfektionsmittel und Einmalartikel, Änderungen in der Praxisorganisation und die Verunsicherung der Patienten berührt alle Bemessungskriterien des § 5 Abs. 2 GOZ und kann erhöhte Steigerungssätze begründen und rechtfertigen. 

Das Coronavirus hält die Welt in Atem. Nach derzeitigem Wissensstand (Stand: 06.03.2020) überträgt sich das neuartige Coronavirus vorrangig durch Tröpfcheninfektion und Händekontakt. Zum individuellen Schutz und zur Vermeidung einer weiteren Ausbreitung der Infektion empfiehlt das Robert-Koch-Institut (RKI) folgerichtig unter anderem einen Abstand von 1-2 Metern zu Erkrankten, das Einhalten von Hust- und Niesregeln und den Verzicht aufs Händeschütteln.

Da die ersten Tage der Inkubationszeit symptomlos, bzw. symptomarm oder unspezifisch verlaufen können und dennoch eine hohe Viruslast der oberen Atemwege mit entsprechendem Risiko der Infektionsweitergabe bestehen kann, besitzen diese Empfehlungen bei unklarer Infektionslage generell Relevanz für den zwischenmenschlichen Umgang miteinander.

Tatsächlich gestattet es die zahnärztliche Behandlungssituation nicht, diese Verhaltensregeln vollumfänglich einzuhalten. Die zwangsläufige körperliche Nähe und das Entstehen und der Aufenthalt in einer Aerosolwolke bei zahlreichen zahnärztlichen Behandlungen stehen den Empfehlungen des RKI diametral entgegen.

Hervorzuheben ist, dass die deutsche Zahnärzteschaft durch ihr qualifiziertes Hygienemanagement für derartige und auch weitere Herausforderungen gut gerüstet ist.

Zur Umsetzung dieser Hygienemaßnahmen bedarf es jedoch zahlreicher Desinfektionsmittel und Einmalartikel im Rahmen des Sprechstundenbedarfs. Der Erwerb dieser Medizinprodukte und deren sachunkundiger Einsatz durch Laien hat aktuell und voraussichtlich bis auf Weiteres allerdings zur Folge, dass durch Verknappung die Beschaffung und der Erwerb dieser Waren nicht zu sonst marktüblichen Preisen erfolgen kann.

Die zur Zeit aufgerufenen und vervielfachten Preise wären unter normalen Marktbedingungen noch vor einem halben Jahr als wucherisch oder abstrus bezeichnet worden. Zahnärzte können sich dieser Marktsituation bedauerlicherweise nicht entziehen, denn ohne die erforderlichen Medizinprodukte ist der Betrieb einer zahnärztlichen Praxis unter Beachtung richtlinienbasierter rechtlicher Vorgaben unmöglich.

Auch die Verwendung von deutlich teureren FFP3-Schutzmasken anstelle der in den Praxen verbreiteten Atemschutzmasken oder der sonst nicht übliche Einsatz von Einwegschutzanzügen stellt einen weiteren Kostenfaktor dar. Das hat selbstverständlich Konsequenzen für die Kostensituation in zahnärztlichen Praxen.

Gemäß § 4 Abs. 3 GOZ sind diese Praxisausgaben mit den berechneten Gebühren abgegolten. Eine gesonderte Materialkostenberechnung scheidet daher aus. § 5 Abs. 2 GOZ bietet allerdings in Anwendung des Steigerungssatzes die Möglichkeit, derart außergewöhnliche Kosten zu berücksichtigen.

Das Kriterium „Umstände bei der Ausführung einer Leistung“ stellt eine Art Auffangtatbestand dar, ist in der aktuellen Situation jedoch maßgeblich. Darunter zu subsumieren sind u. a. Behandlungen zur Unzeit, in Krisenzeiten oder Ausnahmesituationen.

Im Zusammenhang mit der pandemischen Ausbreitung des Coronavirus und den hierdurch massiv angestiegenen, unter regulären Umständen nicht angemessenen Preisen für diese zahnärztlichen Verbrauchsmaterialien muss tatsächlich von einem Ausnahmezustand ausgegangen werden.

Da nun wiederum die Erbringung jeder einzelnen Leistung an entsprechende Hygienemaßnahmen sowohl zum Schutz des Patienten als auch des zahnärztlichen Personals geknüpft ist, ist der durch die besonderen Umstände bedingte, erhöhte finanzielle Aufwand leistungsbezogen. Sicherlich rechtfertigt dies nicht bei jeder Behandlung die Ausschöpfung des Gebührenrahmens bis zum 3,5-fachen Steigerungssatz, die Bemessung hat vielmehr individuell und einzelfallbezogen zu erfolgen.

Bei bekannt positivem Befund eines Patienten sind in einer zahnärztlichen Praxis unter Umständen weitere organisatorische Maßnahmen und damit verbundene Kosten zu erwarten: Neben der räumlichen Trennung dieser Patienten vom übrigen Patientenklientel können Behandlungen außerhalb der üblichen Sprechstunde ein probates Mittel zur Vermeidung weiterer Ansteckungen in der Bevölkerung sein.

Auch die „Schwierigkeit bei der Leistungserbringung“ darf nicht vergessen werden: Dieses Kriterium des § 5 Abs. 2 GOZ hebt ab auf die intellektuelle, konzentrative, mentale und auch körperliche Belastung des Zahnarztes durch die Leistungserbringung. Bei der Behandlung eines Patienten mit bestätigtem oder vermeintlich positivem Befund SARS CoV-2 dürften beim behandelnden Zahnarzt all diese Indikatoren mehr oder weniger deutlich erhöht sein. § 5 Abs. 2 GOZ benennt in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch die „Schwierigkeit des Krankheitsfalls“. Gerade dieses Kriterium gestattet es, auch Aspekte die ihre Ursache  im allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten haben, in die Gebührenbemessung einfließen zu lassen. Diese sind zwar nicht der unmittelbaren Leistungserbringung zuzuordnen, haben aber äußeren Einfluss auf diese.

Unterschätzt werden darf auch nicht der Rede- und Aufklärungsbedarf des verunsicherten Patienten über das mit einer konkreten Leistung verbundene Infektionsrisiko und die von der Praxis aus Gründen der Patientensicherheit ergriffenen Maßnahmen. Dieser erhöhte Gesprächsaufwand ist dem Kriterium „Zeitaufwand“ zuzuordnen.

Die Begründung in der Rechnung sollte abstellen auf besondere Umstände bei der Leistungserbringung durch erhöhten finanziellen und zeitlichen Aufwand und Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2, bei einer ggf. geforderten näheren Erläuterung sollten die Gründe/Maßnahmen spezifiziert werden.

Zumindest bei punktzahlmäßig höher bewerteten Leistungen kann eine Vereinbarung gemäß § 2 Abs. 1 und 2 GOZ die gewählte Gebührenhöhe absichern. 

Während die Bundesregierung bereits laut und publikumswirksam über einen Maßnahmenkatalog zur Unterstützung und Entlastung anderer Wirtschaftszweige nachdenkt, sind derartige Vorhaben in Bezug auf die massiv betroffene Zahnärzteschaft nicht wahrnehmbar. So kann ein -zumindest finanzieller - Ausgleich der deutlich gestiegenen Anforderungen nur durch gebührenrechtskonforme Anwendung der GOZ erfolgen.