Sammelklage: Die Beklagte wird zur Rückzahlung nebst Zinsen verurteilt

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Inhalt

AG Düsseldorf (23.10.2020, Az. 231 C 232/15)

 

Klägerin war eine private Krankenversicherung. Die verlangte von einer Praxis Rückzahlung für erfolgte Erstattungsbeträge an den Versicherten. Die Gebühren seien zu Unrecht berechnet worden. Die Versicherung untermauerte ihren Anspruch mit dem VVG, welches eine Rückzahlungspflicht des Rechnungsaustellers direkt an die Versicherung vorsieht, wenn diese die unberechtigte Rechnungsforderung dem Versicherten tatsächlich zunächst erstattet hatte.

Die Praxis verweigerte die Rückzahlung, zu der sie aufgefordert worden war; es läge keine unzulässige Doppelberechnung vor.

Es erfolgte eine Klage. Streitig waren in einer Vielzahl von Fällen aus den letzten drei Jahre  „adhäsive Befestigungen“ nach Nr. 2197 GOZ neben „Restaurationen in Adhäsivtechnik“ nach den Nrn. 2060, 2080, 2100 und 2120 GOZ.

Das Amtsgericht kommt zu der Überzeugung, dass „durch die Berechnung der Ziff. 2197 GOZ neben den Ziff. 2060, 2080, 2100 und 2120 GOZ eine unzulässige Doppelberechnung i.S. d. § 4 Abs. 2 GOZ vorgelegen habe“.

„Gem. § 4 Abs. 2 GOZ dürfen Gebühren für Leistungen, die Bestandteil oder besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis sind, nicht in Rechnung gestellt werden, wenn diese inhaltlich bereits in einer anderen abgerechneten Leistungsziffer enthalten ist.“ „Gebührenrechtlich unselbständiger Bestandteil einer anderen Leistung ist eine Leistung grundsätzlich dann, wenn ohne ihren Leistungsinhalt die andere Leistung nach ihrem technischen Ablauf oder anderen für die Leistungserbringung bestimmenden Faktoren nicht erbracht werden kann (…).“
(Eine Kompositfüllung kann jedoch ohne separate adhäsive Befestigung  erbracht werden.)

Hierzu eine Anmerkung

Die zahnmedizinischen Fakten sehen so aus: Gänzlich ohne eine zahnärztliche Leistung „adhäsive Befestigung“ (2197 GOZ) können sehr wohl fachgerechte „Kompositrestaurationen in Adhäsivtechnik“ erbracht werden.

Eine spezielle Methode der Adhäsivtechnik arbeitet z.B. bei dem gerade in DZW Nr. 46/2020, S. 28 ausführlich vorgestellten „Surefil one“ (Firma: Dentsply Sirona) mit einem neuen Komposithybrid ohne gesondertes Konditionieren, auch ohne Primen und Bonden, also ohne Anwendung eines Adhäsivs (ohne 2197 GOZ). 

Es arbeitet mit direkter chemischer Bindung an die Zahnsubstanz und mit dreidimensionaler Polymerisierung unter Ausbildung hydrolysestabiler Amidbrücken.

Es handelt sich um eine signifikante Fortentwicklung selbstkonditionierender und zugleich selbstadhäsiver Füllungsmaterialien, die schon über 15 Jahre mit CE-Prüfzeichen zugelassen sind. - Beispiele:

  • Vertise Flow (Fa. Kerr Corporation, Orange, USA),
  • Fusio Liquid Dentin (Fa. Pentron Clinical, Orange, USA),
  • Constic (Firma DMG)

Weitere Zitate aus der Urteilsbegründung

„Nach dem Wortlaut der Leistungsbeschreibung der Ziff. 2060, 2080, 2100 und 2120 GOZ umfassen diese Füllungen „in Adhäsivtechnik“.

Dazu eine Erklärung:
„In Adhäsivtechnik“ ist eine zusammenfassende Überschrift für wissenschaftlich beschriebene fünf  unterschiedliche Methoden der  konkreten „Anwendung der Adhäsivtechnik“. Das maßgebliche Gerichtsgutachten für das vorliegende Urteil ging stillschweigend und ohne durchgängige Prüfung von einer erfolgten Anwendung der volladhäsiven „Prime & Bond“ Methode bei allen streitgegenständlichen Restaurationen aus, hat das allerdings nicht anhand der Behandlungsunterlagen vollständig überprüft.
Bei dieser Methode wird der Behandler selber „adhäsiv befestigend“ tätig im Sinne des § 4 (2) Satz 1 GOZ mit einer „eigenen Leistung“, Gebühren  nach 2197 GOZ auslösend.

Zitat Urteilsbegründung:

„Der Begriff ‚Adhäsivtechnik‘ wird dabei als Oberbegriff für die ‚Schmelz-Dentin-Adhäsivtechnik‘ und die ‚Schmelzadhäsivtechnik‘ verwendet (…).“

Dieser als „bedeutsam“ angeführte Satz der Novellierungsbegründung von BuReg/BMG sagt nichts zur vorliegenden Thematik: Er bedeutet, dass es gebührentechnisch keinen Unterschied macht ob eine Füllung am Zahnschmelz alleine oder auch am Zahnbein (Dentin) verankert wird, was umstritten war. Klargestellt wird, dass es sich dabei nicht um zwei unterschiedliche Leistungen handelt, nur um zwei unterschiedliche Substanzen der Verankerungsbasis für eine Zahnrestauration nach Ziff. 2060 ff.

Zitat: „Die Leistungsbeschreibung der Ziff. 2197 GOZ umfasst ‚dagegen‘ die adhäsive Befestigung“.

Das ist richtig, zeigt aber in keiner Weise einen Gegensatz auf: Nach Ziffer 2197 kann Komposit auf Zahnschmelz und/oder auf Zahnbein adhäsiv verankert werden.

Zitat: „Der Sachverständige … hat in seinem Gutachten vom 22.07.2019 ausgeführt, dass aufgrund der Leistungslegende der Ziff. 2060 ff. GOZ die Adhäsivtechnik für das Erreichen der Zielleistung dazugehöre. Daher sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit klar, dass der Verordnungsgeber die Bestandteile der Ziff. 2197 GOZ in den Adhäsivfüllungspositionen inkludiert habe. Denn der Adhäsivtechnik lägen als integrale Bestandteile das Konditionieren einer Zahnoberfläche  … und weitere Behandlungsschritte, nämlich das Primen und Bonden   zu Grunde. Das Konditionieren sei dabei lediglich das Vorbereiten einer Oberfläche für adhäsive Maßnahmen und somit nur der 1. Schritt in der Adhäsivtechnik. Die Zielleistung könne nach zahnärztlichen Standards nicht ohne die weiteren Arbeitsschritte erreicht werden.“

(…) „Eine andere Interpretation der Ziff. 2060 ff. GOZ würde bedeuten, dass nur mit physikalischer Konditionierung der Zahnoberfläche ohne chemisch adhäsives Vorbereiten zahnärztlich funktionelle Standards zu erreichen wären. Dies sei aber in den allermeisten Fällen nicht möglich.“   

Feststellung:

§ 4 (1) GOZ: Gebühren sind Vergütungen für die im Gebührenverzeichnis (…) genannten zahnärztliche Leistungen. – Ohne Durchführung einer eigenen zahnärztlichen Leistung „adhäsive Befestigung“ gibt es keine Gebühr nach Nr. 2197 GOZ.

Zur Anwendung einer bestimmten Methode der ‚Adhäsivtechnik‘ (z.B. „volladhäsiv, Prime& Bond) kann u. A. entweder eine aktive adhäsive Befestigung durch den behandelnden Zahnarzt hinzukommen (Gebühr nach 2197 GOZ ansetzbar).

Oder es erfolgt bei Verwendung von selbstadhäsiven Kompositen automatisch chemisch ablaufend adhäsive Befestigung ohne eigene Leistung des Zahnarztes (keine Gebühr nach 2197 GOZ ansetzbar).  -  Anders herum betrachtet:

Wäre gebührentechnisch in Leistungen mit Komposit nach Nr. 2060 ff. GOZ eine Leistung nach Nr. 2197 bereits obligat inkludiert, dann wäre eine (fast) gleiche Leistung mit selbstadhäsivem Komposit übervergütet, da in diesem Fall vom Behandler keine adhäsive Befestigung durchgeführt wird: Dennoch handelt es sich bei der fertigen Zahnversorgung um das Resultat einer lege-artis „Restauration in Adhäsivtechnik“.

 

In der Urteilsbegründung steht, dass der Sachverständige „in seinem Gutachten von reinen Füllungspositionen im Wege der Adhäsivtechnik ausgegangen“ sei. Die Methoden, die nach Ansicht von … die Gebührenziffer 2197 auslösen könnten, wie z.B. Varianten des selbstklebenden Komposits (selbstadhäsiv, semiadhäsiv), hatten nach der glaubwürdigen Aussage des Sachverständigen bis zum Jahr 2014 in der Regel keine Rolle gespielt.“

 

Das Gericht hat erkennbar die Darstellung zu selbstadhäsiven (semiadhäsiven) Kompositen völlig missverstanden. Genau das Gegenteil ist zutreffend:

Wenn ein Komposit selbstadhäsiv ist, es sich selber durch eine quasi „chemische Kettenreaktion“ klebend befestigt, dann muss es nicht mehr vom Zahnarzt in vielen Einzelschritten adhäsiv befestigt werden, z.B.  mit Anfeuchten und/oder ggf. gezieltem Antrocknen, massierendem Primen, Bonden (Adhäsivauftrag mit Pinsel/Schwämmchen o. Ä.), ggf. Verblasen und mit initialer Lichtaktivierung .

Dann fällt logischerweise ohne dieses adhäsive Befestigen durch den Zahnarzt auch keine Gebühr für aktives adhäsives Befestigen an.

 

Dem Urteil „Kein zutreffender Ansatz der Nr. 2197 GOZ“ fehlt die Grundlage (Zitat):

„Vorliegend hätten auch in den Karteikarten [Behandlungsdokumentation] keine Anhaltspunkte für die Verwendung einer derartigen [selbstadhäsiven] Methode vorgelegen.“

Wenn das geprüft worden und zutreffend wäre, dann spräche alles dafür, dass anstelle der Anwendung eines selbst- oder semiadhäsiven Komposits (ohne zzgl. 2197 GOZ) eine andere Methode der Adhäsivtechnik verwendet wurde, bei der adhäsives Befestigen tatsächlich durchgeführt und als selbständige, fakultative Leistung nicht inkludiert ist.

Der Sachverständige hatte nicht systematisch gesichtet, welches Komposit (Produkt, Firma) und welches Adhäsiv/ Bonding (Name, Firma) im Einzelfall tatsächlich benutzt und verbraucht wurde.

Fazit: Bei Verwendung von ‚semi-/selbstadhäsiven‘ Kompositen wird vom Zahnarzt keine selbständige „adhäsive Befestigung“ durchgeführt, ist dann also auch nicht eingeschlossen und nicht gesondert berechnungsfähig. –

(Diese Fallgestaltung war vorliegend nicht festgestellt worden.)

Es gibt unterschiedliche Methoden der Adhäsivtechnik, auch ‚multiadhäsive‘ und ‚volladhäsive‘ mit separater Durchführung und dann logischer Berechnung der offenkundig nicht immer schon eingeschlossenen „adhäsiven Befestigung“ nach Nr. 2197 GOZ.

Wenn zahnmedizinisch, materialkundlich und gebührentechnisch Methoden der Adhäsivtechnik existieren, die ohne eine gesonderte Leistung „adhäsive Befestigung“ auskommen und dennoch den anerkannten Regeln der Zahnheilkunde entsprechen, dann muss es auch Restaurationsmethoden bzw. dazu verwendete Komposite in Adhäsivtechnik geben, bei denen eine gesonderte und indizierte Leistung „adhäsive Befestigung“ tatsächlich erfolgt und als selbständige Leistung auch berechnungsfähig ist.  

 

© Dr. Peter H. G. Esser