Viele Zähne, die früher nicht erhalten werden konnten, sind mit fortschrittlichen Techniken der Wurzelkanalbehandlung heute doch erhaltungsfähig. Solche Zähne können dann ihre Funktion ggf. auch langfristig wieder übernehmen. Die enorme Fortentwicklung in der Wurzelkanalbehandlung wurde in der Gebührenordnung so gut wie nicht nachvollzogen:
Es sind inzwischen neue Leistungen entstanden, die Wurzelkanalbehandlung in manchen Fällen erst ermöglichen. In anderen Fällen ersetzen die neuen Leistungen veraltete und sind erfolgreicher. Solche Leistungen, die nicht im Gebührenverzeichnis enthalten sind, müssen analog – das heißt im Wege des Leistungsvergleichs - berechnet werden. Damit können sich manche Kostenerstatter aber nicht „anfreunden“. Das liegt daran, dass die weiterentwickelte Wurzelkanalbehandlung ggf. deutlich mehr Zeit benötigt als herkömmliche. Damit verbunden sind dann höhere Kosten. Die wollten Versicherungen im Jahr 2019 in etwa 5% der Beanstandungsfälle nicht oder nur reduziert erstatten (Zahlen der ZA AG). Man muss dann erklären, dass „Rettung“ eines Zahnes deutlich Kosten einspart gegenüber Ersatz des Zahnes z. B. durch ein Implantat mit Krone oder durch eine Brücke usw.
Einwände der Erstatter im Umfeld und bei der Wurzelbehandlung
Ablehnung der Abrechnung von Analogieleistungen
- 2390 (Trep) nicht neben 2360, 2410, 2440: 61,8 %
- Analogie: Entfernung Altobturation / Wurzelfüllung: 18,1 %
- 2410: je Kanal, 2x mit Begründung / mehr. Kanäle: 11,5 %
- Analogie: Zugangaspräp / Kronentrep / Fragm. entfern: 8,6 %
©2020 Die ZA, Tab. 6
Trepanation eines Zahnes, als selbständige Leistung
Etwas mehr als 60% aller Erstattungseinwände im Komplex Wurzelkanalbehandlung betreffen die „Trepanation des Zahnes“.
Das ist eine abstruse Situation bei einer Leistung, die betriebswirtschaftlich sehr oft gar nicht stimmig erbringbar ist. Derartig „verbohrtes“ Streiten ist guter Zahnmedizin mit Sicherheit abträglich. - Trepanation bedeutetet Aufbohrung/Durchbohrung des Zahnes und ggf. Durchbohrung einer ausgehärteten Zahnrestauration (Unterfüllung/Füllung) bis in das Zahnkavum. Die Vergütung der Nr. 2390 zum 2,3fachen Satz ist bei zwei verbrauchten Trepanationsinstrumenten vollständig aufgezehrt. Formulierung und Bewertung der Trepanation sind miss-/unverständlich.
Wurzelkanalbehandlung ohne und mit Trepanation
Trepanation eines Zahnes, auch Milchzahnes, dient der Eröffnung des Pulpenkavums und ggf. der Entlastung des darin aufgebauten entzündlichen Drucks und kann dadurch als selbständige Maßnahme schmerzlindernd/-stillend wirken.
Fakultativ nötige Trepanation dient ggf. der Einleitung einer Wurzelkanalbehandlung, wenn sie Zugang zur Ausräumung des Kronenkavums, aber auch des Wurzelkanals verschafft. Es gibt klinische Situationen, die zur Wurzelkanalaufbereitung gar keiner vorherigen Trepanation bedürfen, wie kariöse Zahneröffnung, Zahnfraktur, Aufbau- und Wurzelstiftentfernung, Trepanation andernorts etc.
Bei Molaren ist der Zugang zu Wurzelkanälen - statt mit einer unselbständigen Trepanation – ggf. nur mit „Präparation einer primären und ggf. sekundären endodontischen Zugangskavität zur Darstellung und Umformung der Kanaleingänge“ möglich (Analogleistung). Speziell dazu wird häufig eine optische Vergrößerungshilfe oder sogar ein Operationsmikroskop benötigt (Zuschlag 0110, aber nicht zu Analogleistungen).
Die Trepanationsleistung ist gebührentechnisch bestimmt als „selbständige“ Leistung, d.h. als eigenständig indizierte Leistung, die in keiner anderen Leistung enthalten sein darf, die zahn- und sitzungsgleich berechnet wird. – Daher schließen sich Trepanation und Zugangskavitätenpräparation in derselben Sitzung am selben Zahn aus.
Trepanation einer Krone oder eines Inlays
Die „Trepanation eines Zahnes“ ist zweifellos keine Trepanation einer Teil- oder Vollkrone, auch nicht eines Inlays oder Stiftaufbaus o. Ä. Das sind in der GOZ nicht beschriebene Leistungen, die der Analogberechnung unterfallen (z.B. wie 2300a, Wurzelstiftentfernung). Bei Teilkronen mit erheblicher Wandstärke, die trepaniert werden, muss eine insbesondere nach Kosten- und Zeitaufwand tatsächlich entsprechende Vergleichsziffer gesucht werden, z.B. die Nr. 3260a („Freilegen Zahn“ mit 2,3-fachem Satz für ca. 10 Minuten Zeitaufwand, inklusive 2-3 nach § 4 (3) GOZ abgegoltener Hartmetallinstrumente ).
Die Kommentierungslage
Die Interpretation der Nr. 2390 hängt davon ab, welchen Stellenwert der "Amtlichen Novellierungsbegründung" von BuReg/BMG gegeben wird. Nach Ansicht einiger Kommentatoren (BZÄK, ZÄK-Berlin) definiert der Text der Novellierungsbegründung den Begriff "selbständig" im Zusammenhang mit der Zahntrepanation nicht zutreffend.
Als bisher unerwähnter Gesichtspunkt kann hinzugefügt werden, dass die Formulierung der Leistungsbeschreibung der Nr. 2390 und der dazu abgegebenen Begründung noch vor der einschneidenden Änderung des § 4 (2) Sätze 3, 4 GOZ (Zielleistungsprinzip) erfolgt ist: Mit der Erstversion des § 4 (2) korrespondierte die amtliche Begründung zur Nr. 2390 GOZ, mit der Änderung nicht mehr:
Der Verordnungsgeber hätte seinen mutmaßlichen Willen mit der Umformulierung "Nummer 2390 nicht neben 2410 GOZ" präzise und unmissverständlich Ausdruck verleihen können. Das ist aber nicht geschehen, sodass in dieser Situation der Wortlaut und die Regeln der GOZ und die zahnmedizinisch-fachlichen Fakten Vorrang haben."
Die ZÄK-NR vertritt eine gegenteilige Auffassung: Durch Erhöhung der Punktzahl der Nr. 2410 GOZ (je Kanalaufbereitung) sei die weiter eingeschränkte Abrechnung der Nr. 2390 (Trepanation) bei Betrachtung des „Leistungskomplexes“ ausgeglichen (Komplexgebühr?).
Urteilslage
Die Berechnung der Nr. 2390 "Zahntrepanation" neben der Nr. 2410 GOZ "Kanalaufbereitung" ist angesichts der Urteilslage weiterhin vertretbar, da sie zahnmedizinisch-fachlich begründet und die Novellierungsbegründung des BMG fehlweisend ist. Die bekannten Urteile mit Zustimmung zur Nebeneinanderberechnung der Nrn. 2390 und 4210 GOZ überwiegen deutlich. Das zzt. wichtigste Urteil:
LG Hamburg (30.08.2018, Az. 323 O 16/15) besagt in Kurzfassung, dass Nr. 2390 lediglich "Kavumzugang" ist und selbständig berechnungsfähig in Bezug auf nachfolgende Leistungen.
Fazit
Eine Trepanation ist nicht Bestandteil der Aufbereitung eines Wurzelkanals, denn eine "Durch-/Aufbohrung" erfolgt von außen durch die Zahndecke und ist beendet, wenn die Pulpenhöhle, das Pulpenkavum darunter eröffnet ist. Frühestens ab diesem Zeitpunkt kann sich die selbständige Leistung nach 2410 GOZ "Wurzelkanalaufbereitung" anschließen, ggf. aber auch nicht, wenn der Kanal sich als definitiv nicht auffindbar oder nicht aufbereitbar herausstellt: An dieser Stelle ist eine diagnostische Entscheidung vor eventueller Kanalaufbereitung nötig. Typisches Kennzeichen einer "selbständigen" Trepanation ist gerade die Tatsache, dass nach erfolgter Trepanation keineswegs automatisch und immer Kanalaufbereitung (2410) folgen kann oder muss.
Analogieansatz für „Ausräumung der vorhandenen Wurzelkanalfüllung“
Mit der Frage „Warum ist Entfernen einer vorhandenen Wurzelfüllung eine selbständige Leistung in Bezug auf die Kanalaufbereitung?“ befassten sich im Jahr 2019 etwas mehr 18% aller Einwände im Umfeld der Wurzelkanalbehandlung.
Es muss in Erinnerung gerufen werden, dass in einem Wurzelkanalsystem residuale Bakterien in ihrer Virulenz im optimalen Fall langfristig oder dauerhaft neutralisiert werden. Zusätzlich kann das Auswandern von Bakterien aus mechanisch völlig unzugänglichen Abzweigungen etc. durch bakteriendichten Verschluss der Hauptkanäle unterbunden werden.
Gelingt das nicht, muss versucht werden, das undichte alte Verschlussmaterial und die darin befindlichen Bakterien nach gründlichen Spülungen und dekontamierenden Maßnahmen möglichst restlos zu entfernen und durch erneutes Abfüllen der Hauptkanäle mit neuer hermetisch versiegelnder Wurzelfüllmasse ganz dicht zu verschließen.
Das „Entfernen einer vorhandenen Wurzelfüllung“ ist eine Leistung, die im Revisionsfall logisch unbedingt vor dem Beginn einer Wurzelkanalaufbereitung (Bearbeitung der Kanalinnenwände) durchgeführt werden muss: Ansonsten kommt man wegen Verstopfung des Zugangs nicht in den Wurzelkanal hinein, geschweige an die Kanalinnenwände heran.
Zahnmedizinische und gebührentechnische Konsequenz:
Die Nr. 2410 der GOZ unterscheidet nicht den Erstversorgungsfall vom Revisionsfall. Jedoch sind beide Konstellationen sehr unterschiedlich und in nur einer Gebührenziffer kaum zutreffend bewertet.
Gelingt das indizierte „Entfernen einer vorhandenen Wurzelfüllung“ nicht, verunmöglicht das die nötige Wurzelkanalaufbereitung nach Nr. 2410 GOZ im nötigen Ausmaß und ggf. den Erhalt des Zahnes.
Fazit
Das fakultativ und nur im Revisionsfall nötige „Entfernen einer vorhandenen Wurzelfüllung“ ist nicht in der Leistung nach Nr. 2410 GOZ „Kanalaufbereitung“ enthalten und auch keine besondere Ausführung dieser Leistung, noch weniger eine unbedingte Voraussetzung für jede Wurzelkanalaufbereitung.