Auskünfteersuchen von privaten Krankenversicherungen - Teil 3:
In den vergangenen zwei Wochen (DZW 46./ 47. KW) wurde über eine auffallende Häufung von Anfragen seitens der PKV berichtet, alle mit der Angabe, die umfangreichen Fragen würden der „Prüfung des Leistungsanspruchs“ bzw. der „Rechnungserstattung“ dienen.
In dem DZW-Beitrag der letzten Woche wurde dargelegt, dass der Anfrageumfang weit über den aktuellen Krankheitsfall hinausging, ohne Information des Patienten bzw. Zahlungspflichtigen zu den Gründen hierfür. Man kann diese Vorgehensweise als „Ausforschungsanfrage“ deuten.
Das Besondere bei dem Auskünfteverlangen dieser PKV war ein raffiniert angelegter Versuch, rein digitale Abwicklung über den Patienten bzw. den Zahlungspflichtigen beim Zahnarzt „durchzudrücken“. – Das natürlich für ganz kleines Geld und dem vorgeblich „wohlmeinenden“ Rat, in diesen Pandemiezeiten wegen der Ansteckungsgefahr besser auf Zahnersatz zu verzichten!
Ein weiteres lehrreiches Beispiele mit anderen Problemen soll in diesem DZW-Artikel dargestellt werden. Die etwas kleinere private Krankenversicherung PKV3 schreibt Ihre ca. 55 Jahre alte Versicherte an:
„Sie haben uns den „Kostenvoranschlag“ vom … eingereicht.“ (Es handelt sich aber um einen Heil- und Kostenplan nach 030 GOZ.)
„Um den Leistungsanspruch prüfen zu können, schicken Sie uns bitte den beigefügten Fragebogen - von Ihrem Zahnarzt ausgefüllt und bestätigt - in den nächsten Tagen zurück.
Sobald Sie uns die Fragen beantwortet haben, können wir Ihren Leistungsanspruch abschließend prüfen.“
Dann folgt eine ganze Seite mit drei Tabellenschemata und zwei Einleitungsfragen an den Behandler
- „Wann war der Patient erstmals bei Ihnen in Behandlung?
- „Wann wurde das erste Mal zu der Behandlung geraten bzw. die Behandlungsbedürftigkeit festgestellt?“
Was der Behandler nicht weiß, der versicherte bzw. zusatzversicherte Patient in der Regel auch nicht oder vielleicht nach Ablauf von etlichen Jahren nicht mehr weiß: Gab es damals schon eine Selbstauskunft des Antragstellers zu seinem Mundzustand vor Vertragsunterschrift und Angaben zu demnächst nötiger Versorgung?
Im Folgenden wird schnell klar, dass die Fragestellungen nicht nur ein bestimmtes Ziel verfolgen, sondern ggf. erhebliche Such-, Zusammenstell-, Schreib- und Kontrollzeiten beanspruchen. Es gibt keine fertig zusammengestellte Antwort zu den Fragen 1.- 5. in den Befund- und Behandlungsaufzeichnungen. Es werden dafür an Praxiszeit 20, sogar 40 Minuten (100,- bis 200,- €) benötigt. - Wer kommt dafür auf? Praxis, Patient oder PKV?
In Richtung Diskrepanzaufdeckung zwischen Gesundheitsangaben vor Vertragsabschluss und Angaben zum angetroffenen klinischen Zustand danach, versucht die Anfrage der PKV3 das Geschehen zu steuern gemäß dieser zwei Frageformulierungen:
- „Seit wann fehlen die Zähne 15, 25 und 35?
- „Sind die o.g. genannten Zähne bereits durch Zahnersatz (Brücke, Implantat, Krone, Interims- oder Immediatersatz) ersetzt? Geben Sie hier bitte auch das Datum der Eingliederung des Zahnersatzes an.“
Eine weitere Fragestellung zielt auf adäquate Vorbehandlung zur Zahnersatzversorgung:
- „Wurden bei dem Patienten sonstige Erkrankungen festgestellt und/oder behandelt (z.B. Zahnbetterkrankungen, Parodontitis/Parodontose)?
Festgestellt am …? Durchgeführt …? Behandlung erfolgreich beendet am …“?
Was wird bezweckt?
Eine weitere Seite Anfragevordruck erscheint misteriös: Es wird dort ein kombiniertes „Befund- und Planungsschema“ für Inlay-, Kronen-, Implantat-, sowie prothetische Versorgung vorgelegt, welches mit vorgeschriebenen Kürzeln ausgefüllt werden soll. Die Kürzel sind ähnlich wie die für GKV-Heil- und Kostenpläne.
Das wirklich Bemerkenswerte an dem Befund- und Planungsvordruck ist die Angabe eines konkreten Stichtages – „ggf. auch früher“ -, zu dem Befund und Planung im Detail vorgelegt werden sollen. Dieses Datum liegt ca. ein Jahr vor dem ersten Termin auf dem eingereichten Heil- und Kostenplan für den Zahnersatz.
Ob dieser Stichtag den nominalen Vertragsbeginn angibt oder z.B. den Erstbehandlungstermin in der Praxis des aktuellen Rechnungsausstellers, ist für den Außenstehenden schwer ersichtlich – nicht aber das mögliche Ziel „Erstattungsausschluss, Vertragsannullierung etc.?
Wenn diese PKV3 da nicht fündig wird, versucht sie es weiter mit der Zusatzfrage:
„Bei welchem Zahnarzt war der Patient vorher in Behandlung?“
Eine Mitteilung darüber, den Praxisunterlagen (Anmeldeformular etc.) entnommen, dürfte wohl einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung „DSGVO“ darstellen? Antwort? - Fragen Sie Ihren Versicherten bitte selber!
Wenn allmählich Verärgerung beim Behandler hochkommt, dann gibt der Schlussteil auf der Seite 3 des Anfragebogens nochmal einen kräftigen Schub.
Es wird verlangt:
„Bitte fügen Sie diesem Bericht die Kopie der Patientenakte bei.“
Um das Bild abzurunden noch der vorgedruckte Schlusssatz:
„Für diesen Bericht berechne ich Euro … nach Ziffer … GOÄ.“
Konto IBAN … Ort, … Datum, … Unterschrift
Für die GOÄ-Ziffer 75 gibt es maximal 26,52 €, für die GOÄ-Ziffer 85 zzgl. Schreibgebühren gäbe es maximal 102,- €.
Es steht fest, dass der Zahlungspflichtige/Patient einen Rechtsanspruch auf seine Behandlungsunterlagen hat (Einsicht, Kopien, Duplikate ...)
Nirgendwo im VVG ist allerdings vorgeschrieben, dass die Behandlungsunterlagen dann nach den Wünschen der jeweiligen PKV aufzubereiten, zusammenzustellen und zu ordnen wären. Und noch zusätzlich zusammenfassende Antworten gegeben werden müssen.
Ein Satz Kopien der Befund- und Behandlungsdokumentation - wie im Praxisarchiv oder der EDV vorliegend - sollte eine zahnmedizinische Verwaltungsangestellte in dem vergütetem Zeitrahmen erstellen und versenden können? Mehr kann man (Singular/Einzahl) „nach Ziffer … der GOÄ“ nicht leisten und nicht verlangen
Urteil des LG Düsseldorf
Ein bemerkenswertes Urteil zum Schluss: In einem Fall vor dem
LG Düsseldorf (02.05.2016, Az. 9 O 236/11)
hatte ein private Krankenversicherung von dem Versicherungsnehmer sehr umfangreiche Nachweise und eine Fülle von Informationen verlangt. Dieser wehrte sich dagegen mit der Argumentation, dass derart hohe Anforderungen einer Einsichtnahme in die vollständigen Behandlungsunterlagen fast gleich käme. Das sei gemäß dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine in keiner Weise mehr übersehbare und unnötige Preisgabe von ganz persönlichen Daten. Es gäbe gemäß Bundesverfassungsgericht (1 BvR 2027/02) keine Verpflichtung zur umfassenden Einsichtgewährung in die Krankenakte; die sei mit dem Selbstbestimmungsrecht nicht vereinbar.
Das Landgereicht Düsseldorf sagte dazu:
"Von einem Versicherungsnehmer kann ... nicht verlangt werden, aus der Fülle der im konkreten Fall angeforderten Informationen diejenigen heraus zu destillieren, welche er der Beklagten (Versicherung) in zumutbarer Weise zur Verfügung stellen müsste und welche tatsächlich zur Feststellung des Versicherungfalles und des Leistungsumfangs erforderlich sind.
Des Weiteren ist mehr als zweifelhaft, ob ein Versicherungsnehmer, der regelmäßig medizinischer Laie ist, die fachlichen Fragen beantworten kann. Ist die medizinische Notwendigkeit aber grundsätzlich gegeben, berechtigt eine (von der Versicherung vermutete) Übervergütung nicht zu einer Leistungskürzung oder gar Leistungsverweigerung."
Der Erstattung stand nach Auffassung des Gerichts nicht entgegen, dass der Versicherte dem zu weitgehenden Auskunftverlangen nicht entsprochen hatte.
© Dr. Peter H. G. Esser