DZW-Artikel – Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Neues Urteil zur Endodontie (3. Teil)

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Neues Urteil zur Endodontie (3. Teil)
In der DZW 46. KW 2021 wurde begonnen, das neue Urteil des VGH Baden-Württemberg (07.09.2021, Az. 2 S 1307/21) kritisch zu beleuchten.

Hier soll diese Betrachtung fortgeführt werden mit dem

  1. Leitsatz:

Der Kläger hat  (bei endodontischer Behandlung) keinen Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für die digitale Volumentomographie des Zahnes.

Zur Begründung macht das Gericht im Wesentlichen geltend, eine digitale Volumentomographie sei hier nicht medizinisch notwendig gewesen. –

Es handelt sich offenkundig um eine spezielle DVT-Röntgenanwendung mit zahnbezogen kleinem Volumen (z.B. 7x7x7). Das DVT-Verfahren ermöglicht es unter anderem, räumliche Aufnahmen des Kopfes, insbesondere Teilaufnahmen des Gesichtsschädels, zu erstellen. -

Der Erstatter:

Für zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen zeichnen sich nur wenige Einsatzgebiete der DVT ab. Im Rahmen der Endodontie besteht eine medizinische Notwendigkeit in der Regel nicht.

Der Behandler rechnete unter anderem eine durchgeführte „computergesteuerte Tomographie im Kopfbereich“ ab (Ä5370) mit einem „Zuschlag für eine nachfolgende computergesteuerte Analyse, inkl. speziell nachfolgender 3D-Rekonstruktion“ (Ä5377) - im Folgenden „digitale Volumentomographie – DVT“) nach GOÄ-Nummern 5370 plus 5377 in Höhe von insgesamt 256,46 EUR ab (nur eine DVT).
Die Postkrankenkasse (Beklagte) lehnte in einem Bescheid die Erstattung dieser Aufwendungen nachdrücklich ab. Zur Begründung führte sie aus, die Notwendigkeit der digitalen Volumentomographie als zusätzliche Diagnostik neben konventionellen Zahnröntgen-Einzel- oder einer konventionellen OPG-Übersichtsaufnahme sei nicht erkennbar.

 - Indikationsstellung für aufwendigere Röntgentechnik:

Insbesondere Röntgentechnik mit hoher Strahlenlast darf nur nach sorgfältiger Abwägung und bei dokumentiertem Vorliegen einer rechtfertigenden Indikation angewendet werden. Das ist z.B. gegeben nach Feststellung unzureichender Bildgebung mit konventioneller Technik (Ä5000 - Ä5004, Ä5095) -

 

Zur Begründung führte die Post aus, die digitale Volumentomographie sei nicht medizinisch notwendig gewesen. Die Notwendigkeit ergebe sich weder aus der „s2k-Leitlinie Dentale digitale Volumentomographie“ der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde noch aus der Rechnung des behandelnden Zahnarztes noch aus der Stellungnahme der Zahnärztekammer.

Entgegnung des Klägers:

Hier gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass keine medizinische Notwendigkeit für die Computertomographie bestanden habe. Der behandelnde Zahnarzt habe sie damit begründet, dass die dreidimensionale Analyse zur Darstellung von Strukturen notwendig sei, die mittels zweidimensionaler Röntgendiagnostik nicht erkennbar seien:
Es bestünde eine unklare Lagebeziehung und Ausdehnung der ossären Lyseareale (Knochenauflösung in engem Kontakt zur Kieferhöhle) bei starker Rezessusbildung (bei interadikulär sehr dünner und geschwundener Knochendecke der Zähne bzw. der Kieferhöhle.

Damit habe sich die Beklagte nicht auseinandergesetzt. Röntgenbilder bildeten die dreidimensionale Realität nur zweidimensional ab, was bedeute, dass durch Überlagerungsphänomene der geröntgten Strukturen durchaus nicht immer alle gewünschten anatomischen Besonderheiten abgebildet würden. Daher sei es dem Zahnarzt überlassen zu beurteilen, mit welchen elektrometrischen (?) Geräten er die Feststellung treffe. Die Beklagte verweise auf die Behandlungsleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde vom 05.08.2013, die jedoch nicht mehr gültig sei. Im Übrigen gebe die Beklagte nicht an, auf welche genaue Vorschrift der Leitlinie sie sich zur Begründung ihrer Ablehnung der Berechnungsfähigkeit beziehe.

Bedeutung von Leitlinien

Von den in der einschlägigen Leitlinie unter Nummer 7.5 für den Bereich der Endodontie genannten möglichen Indikationen kommen hier nach (gemäß) der Stellungnahme der Zahnärztekammer nur zwei in Betracht, nämlich

  1. „apikale Veränderungen mit klinischer Symptomatik, wenn diese auf zweidimensionalen Aufnahmen nicht detektierbar bzw. räumlich korrelierbar sind“ sowie eine
  2. „komplexe Wurzelanatomie und Morphologie (zusätzliche Kanalsysteme, apikale Chirurgie an OK/UK Molaren, UK Prämolaren, Dens invaginatus)“.

Urteilsbegründung:

Beide Indikationen liegen hier nicht vor. Soweit es in der Begründung der Rechnung des behandelnden Zahnarztes zu dieser Rechnungsposition heißt: „Dreidimensionale Analyse notwendig zur Darstellung von Strukturen, die mittels zweidimensionaler Röntgendiagnostik nicht erkennbar sind“, handelt es sich hierbei lediglich um eine allgemeine Umschreibung der Vorzüge der dreidimensionalen Bildgebung gegenüber der zweidimensionalen, nicht aber um eine konkrete fallbezogene Indikation.

 

Auch die weitere Begründung „unklare Lagebeziehung und Ausdehnung der osseären Lyseareale zur Kieferhöhle bei starker Rezessusbildung“ stellt keine der genannten Indikationen dar, sondern umschreibt - wie von der Beklagten unbestritten vorgetragen - lediglich den Grund für die Behandlung.  Nicht erläutert werde, welche Strukturen dargestellt werden sollen. Auch die weitere Begründung „unklare Lagebeziehung und Ausdehnung der osseären Lyseareale zur Kieferhöhle bei starker Rezessusbildung“ stelle keine der genannten Indikationen dar, sondern umschreibe lediglich den Grund für die Behandlung. (Das ist unzutreffend.) Somit habe der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der ihm hierfür entstandenen Aufwendungen

 

Kommentierung
Die auf der Rechnung angegebenen Gründe und besonderen Umstände sind Leitlinien konform.

Nicht laienverständliche Erläuterung der Begründung ist das entscheidende Versäumnis:

Aber ist danach gefragt worden?

Dem Urteil zugrunde liegt offenkundig teilweise Missverstehen der angegebene besondere Anatomie im Behandlungsgebiet (im Umgebungsknochen, in der Kieferhöhle und im Zahninneren) und der daraus ggf. erwachsenden sehr hohen Risiken der durchzuführenden Wurzelkanalbehandlung im entzündlich rarifizierten Knochengebiet und im unmittelbarem räumlichen Kontakt zur Kieferhöhle, auch infolge der besondere Risiken für eine dort im Entzündungsgebiet leicht mögliche Abszessbildung durch Keimverschleppung in die vorgeschädigte Zahnumgebung im apikalen Wurzelbereich des Zahnes.

 

ARTIKEL VON: DR. PETER ESSER