Socket Preservation ohne Alveole?

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Inhalt

Neben partiell orts- und inhaltsgleichen Leistungen?

Ist der Ansatz der 4110 GOZ bei „Socket Preservation“ zutreffend? Wofür noch?

In der Eingangsdarstellung beim GOZmasters 2018 zur Nr. 4110 GOZ wurde diese vom Pro-Referenten Dr. Rubehn als ein besonderes Beispiel für „stark misslungene“ Leistungsbeschreibungen bezeichnet. Es verwundert also niemanden, dass die Kommentierung der gegenüber der Nr. 411 GOZ’88 inhaltlich geänderten Nr. 4110 GOZ im siebten Jahr nach Inkrafttreten der GOZ-Novelle noch immer so widersprüchlich und zum Teil implausibel erfolgt, wie es leider der Fall ist.

Nr. 4110 GOZ aus Teil „E. Parodontologie“ ist knochenregeneratives Auffüllen von marginal-parodontalen und -periimplantären Knochendefekten/-lakunen. Aber „Socket Preservation“ ist in der Leistungsbeschreibung und den Berechnungsbestimmungen zur Nr. 4110 nicht erwähnt, lediglich in den amtlichen Novellierungsbegründungen kurz und unbegründet angesprochen.

Die amtliche Begründung zur Nr. 4110 GOZ („… ist Socket Preservation zuzuordnen“), eingebracht in die GOZ von Seiten der BZÄK, wurde von beiden Referenten nicht erwähnt.

Die wohl mehrheitlich als zutreffend angesehene Auslegung der Leistungslegende und der Berechnungsbestimmungen zur Nr. 4110 GOZ wurde von Herrn Dr. Ulrich Rubehn dargelegt, der u. a. Mitglied im BZÄK GOZ-Ausschuss und Mitverhandler der GOZ-Novelle’12 war.

Herr Dr. Michael Striebe, ebenfalls ehemaliges Mitglied im GOZ-Ausschuss der BZÄK und u. a. langjähriger GOZ-Referent der ZÄK-NS, beschäftigte sich mit Gegenargumenten, insbesondere aber mit einer Ausweitung des Leistungsinhalts dieser Gebührenziffer.

Das ist angesichts des durchschnittlich vergüteten zahnärztlichen Zeitaufwands von 4–5 Minuten (2,3-facher Satz der Nr. 4110 sind 23,28 Euro) zumindest ein betriebswirtschaftliches Wagnis.

 

These: Nr. 4110 GOZ ist Socket Preservation

„Socket“ ist die leere Alveole. Eine Explantationskavität ist intraossales Resultat nach Entfernen eines Implantats. Zahnentfernung und Explantation sind beides „chirurgische Behandlungen“ (gemäß erster Berechnungsbestimmung zur 4110 GOZ), in deren Rahmen ausdrücklich eine Leistung nach Nr. 4110 anfallen und berechnet werden kann. Da Nr. 4110 GOZ gemäß Leistungsbeschreibung „je Zahn oder Parodontium oder Implantat“ anfällt, ergänzt die 1. Berechnungsbestimmung als nähere Leistungsbeschreibung den gebührentechnisch zutreffenden Ansatz der Gebührennummer. Der Hinweis auf den Leistungsansatz „je Parodontium“ bedeutet bei zwei benachbarten parodontalen Defekten, die z. B. marginal-interdental aufgefüllt werden, dass somit Nr. 4110 GOZ zweimal erbracht wurde.

Rubehn zitierte den verschachtelten Verordnungstext der GOZ 4110:
„Auffüllen von parodontalen Knochendefekten mit Aufbaumaterial (Knochen und/oder Knochenersatzmaterial), auch Einbringen von Proteinen, zur regenerativen Behandlung parodontaler Defekte, ggf. einschließlich Materialentnahme im Aufbaugebiet, je Zahn oder Parodontium oder Implantat“.

Zitat der GOZ 4110 Abrechnungsbestimmung: „Die Leistung nach der Nummer 4110 ist auch im Rahmen einer chirurgischen Behandlung berechnungsfähig.“ Er schließt die Frage an: „Nur die chirurgischen Behandlungen, bei denen noch ein Parodontium (oder Teile desselben) vorhanden sind?“

 

Diskussion

Der Fragestellung könnte einfach zugestimmt werden. Sie könnte zusätzlich beantwortet werden mit: nur bei Chirurgie mit der Folge „leere Alveole“, da Nr. 4110 zusätzlich zu „je Parodont“ auch noch „je Zahn oder je Implantat“ angesetzt werden kann. Ganz genau betrachtet ist die Explantationskavität aber keine Alveole; aus einer Alveole kann allenfalls bei Sofortimplantation eine Implantationskavität werden.

Rubehn sieht diese Problemzone der erweiterten Leistungsbeschreibung der Nr. 4110 GOZ.

 

Parodontale Knochendefekte und parodontale Weichgewebsdefekte?

Diskussionseinschub: Nr. 4110 wird erbracht zur Behandlung „parodontaler Knochendefekte“ und „parodontaler Defekte“ (Zitate)? Die beiden unterschiedlichen Defektbezeichnungen in derselben Leistungsbeschreibung müssen unterschiedliche Gewebe bzw. Strukturen betreffen, sonst ergibt die zweifache Erwähnung keinen Sinn. Parodontale Weichgewebsbehandlung erfolgt im Bereich des marginalen Parodontiums. Parodontale Knochendefektbehandlung erfolgt ebenfalls marginal im Bereich des Alveolen- bzw. Alveolarknochens.

Parodontale Knochendefektbehandlung findet nicht im apikalen Knochen des Kiefers statt. Rubehn sagte, die Leistung nach Nr. 4110 GOZ stellt wohl auch „Socket Preservation“ für die leere Alveole eines Zahnes dar. Er fragt sich und seine Zuhörer:

  • Gibt es in der leeren Alveole ein Parodontium?
  • Gibt es im periimplantären Bereich ein Parodontium?
  • „Zur regenerativen Behandlung parodontaler Defekte“ (siehe oben)
  • „Je Zahn oder Parodontium oder Implantat“

Daraufhin erfolgte eine Feststellung als Frage formuliert: Nr. 4110 also doch nicht nur für Zahn samt Parodontium, sondern auch für Implantat?

Eine Extraktionsalveole besitzt zwar kein vollständiges Parodontium mehr, wohl aber Teile desselben, nämlich den verbliebenen Teil am Alveolarknochen. Insofern ist das Auffüllen der Alveole mit regenerativen Materialien (Knochen oder alloplastisches Material) gemäß 4110 GOZ mindestens vertretbar. „[...] je Zahn oder Parodontium oder Implantat“: Dieser Zusatz in der Leistungsbeschreibung lässt den Schluss zu, dass es bei der GOZ 4110 nicht nur um Parodontien geht, sondern auch um marginal-periimplantäres Weichgewebe. Die Leistungsbeschreibung der 4110 GOZ ist „verkorkst“. Und für eine „Socket-Preservation“ reicht der Gebührenrahmen 4110 nicht aus (Zitate Rubehn).

 

Antithese bzw. Erweiterungsthese

Die Nr. 4110 GOZ ist aufgeführt im Teil E. der GOZ bei Erkrankungen des Parodontiums.

Striebe spannt den Bogen etwas weiter und kommt zum Teil zu etwas abweichenden Schlussfolgerungen. Er führt ganz grundsätzlich eine wissenschaftliche Stellungnahme der DGZMK an: „Das Ziel der parodontalen Regeneration ist es, den Alveolarknochen, das Wurzelzement und ein funktionell ausgerichtetes Desmodont wieder aufzubauen. Dieses histologische Behandlungsergebnis entspricht klinisch einem Attachmentgewinn und einer Reduktion der Taschensondierungstiefe.“

„Die Leistung nach der Nummer 4110 ist auch im Rahmen einer chirurgischen Behandlung berechnungsfähig.“

Striebe listet folgende chirurgische Leistungen neben der Geb.-Nr. 4110 GOZ auf:

  • Geb.-Nr. 3110 GOZ      Resektion einer Wurzelspitze an einem Frontzahn
  • Geb.-Nr. 3120 GOZ      Resektion einer Wurzelspitze an einem Seitenzahn
  • Geb.-Nr. 3190 GOZ      Operation einer Zyste in Verbindung mit einer WSR

(Bei diesen chirurgischen Leistungen betrifft „Auffüllen“ das apikale Parodontium und findet in einer Höhlung des Kieferknochens statt. Da erscheint die auch besser bewertete Leistung nach Nr. 9090 GOZ „Knochenimplantation zur Weichteilunterfütterung“ wohl plausibler?)

  • Geb.-Nr. 3130 GOZ       Hemisektion und Teilextraktion eines Zahnes

(Da wäre partielle „Socket Preservation“ nach Nr. 4110 GOZ eine zutreffende Bezeichnung.)

  • Geb.-Nr. 3140 GOZ       Reimplantation eines Zahnes
  • Geb.-Nr. 3160 GOZ       Transplantation eines Zahnes

(Hier käme plausibel die Nr. 9090 zum Zuge, zur Auffüllung von knöchernen Inkongruenzen wie bei einer Implantateinbringung gemäß amtlicher Begründung.)

  • Gem. § 6 Abs. 1 GOZ     Prämolarisierung eines Zahnes

(Neben der Prämolarisierung kommt die Leistung nach 4110 GOZ für die marginal-interradikuläre Kochenauffüllung zweimal zum Ansatz.) Siehe auch unter www.alex-za.de.

Antworten auf die oben gestellten Fragen:

  • Gibt es in der leeren Alveole ein Parodontium? 
    An der leeren Alveole gibt es ein marginales Parodontium, in der frischen Alveole gibt es parodontale Gewebeanteile.
  • Gibt es im periimplantären Bereich ein Parodontium?
    Nein, da gibt es kein echtes Parodontium, nur eine gingivale Manschette.
  • „zur regenerativen Behandlung parodontaler Defekte“ (siehe oben)?
    Nein, am Implantat bei wörtlicher Auslegung mangels Parodont unzutreffend, aber
  • „je Zahn oder Parodontium oder Implantat“, also doch nicht nur für Zahn samt Parodontium, sondern auch für Implantat?
    Ja, man kann das plausibel so sehen, weil gute Gründe dafür sprechen. Man muss das aber nicht so sehen, da die Texte zur Nr. 4110 GOZ widersprüchlich formuliert sind.

Dann ist es legitim, kluger Auslegung den Vorzug zu geben. Klug ist sicherlich, auch die Relation von Aufwand und Vergütung zu berücksichtigen. Jede durch Kommentierung angestoßene Ausweitung des Inhaltes der extrem gering vergüteten Leistung nach Nr. 4110 GOZ sollte vermieden werden, wenn sie sich gebührenrechtlich nicht zwangsläufig ergibt.

Schlusssatz aus den „amtlichen Begründungen“ von BMG/BuReg zur GOZ-Novellierung:
„Im Rahmen der Beratungen in der Arbeitsgruppe GOZ ist darauf hingewiesen worden, dass operative Maßnahmen zum Erhalt der Alveole (‚Socket Preservation‘) der Leistung nach Nr. 4110 zuzuordnen wären.“ (S. 69 der Beschlussvorlage)

© Dr. Peter H. G. Esser

 

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