GOZ-Unkraut aus Beihilfesaat ist tief verwurzelt

Teilen:

Inhalt

Es hilft weder Übersehen noch geduldiges Hinnehmen, wenn angebliche „Bestimmungen“ aus obsoleter Altkommentierung wieder hervorgeholt werden.

Ein treffendes Beispiel sind die Beihilfebestimmungen zu Nr. 2030 GOZ „besondere Maßnahmen beim Präparieren oder Füllen von Kavitäten“. Da fängt die Beihilfe ganz aktuell damit an, dass dem Rechnung ausstellenden Zahnarzt erklärt wird, was in der Leistungsbeschreibung und der zugehörigen Berechnungsbestimmung jetzt tatsächlich inhaltlich steht (Beihilfebestimmung):

Die Leistung nach Nummer 2030 GOZ ist je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich je Sitzung höchstens zweimal beihilfefähig, wenn mindestens eine besondere Maßnahme beim Präparieren und mindestens eine besondere Maßnahme beim Füllen von Kavitäten erbracht werden.“

Das ist zutreffend auf die Sachlage nach Novellierung der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ). Und dennoch haben diese neue Sachlage einige Beihilfestellen und die Postbeamtenkrankenkasse immer noch nicht begriffen.

Dann geht es weiter (in den Beihilfebestimmungen): „Werden mehrere besondere Maßnahmen in derselben Kieferhälfte oder im Frontzahnbereich nur beim Präparieren erbracht, ist die Leistung nach Nummer 2030 GOZ nur einmal je Sitzung beihilfefähig. Gleiches gilt, wenn mehrere besondere Maßnahmen nur beim Füllen von Kavitäten erbracht werden.“ Auch das ist grundsätzlich aktueller Stand und soweit in Ordnung.

Beim Präparieren?

Und dann geht es doch wieder los in bekannter Weise:
Es werden beihilfeseitig unvermittelt alte Fehldefinitionen benutzt (Beihilfezitat):

Laut Leistungsbeschreibung kann die Leistung nach Nummer 2030 GOZ nur in Zusammenhang mit einer Füllungstherapie oder einer Zahnpräparation berechnet werden.“  

Das steht jedoch nicht in der novellierten Leistungsbeschreibung der Nr. 2030 GOZ:

Nun heißt es in den Ausführungsrichtlinien auf einmal „Zahnpräparation“, obwohl der Begriff im GOZ-Originaltext nicht zu finden ist. Müssen es Zähne sein, die präpariert werden?
Nein, es kann natürlich auch eine vorhandene Kavität sein, die fachgerecht (nach)präpariert wird, aber die stellt immerhin einen Zahn bezogenen Defekt dar. Es kann im Sonderfall ein Restauration bezogener Defekt sein z.B. bei der Präparation eines Verschlussinlays nach Kronentrepanation. Oder es wird ein vorhandener oder neu eingebrachter Schraubenaufbau präpariert zum Kronenstumpf etc.

Präparieren heißt zu Deutsch „vorbereiten“. Wenn tatsächlich Zähne präpariert werden, findet subtraktiv-formende und zielgerichtete Bearbeitung der Zahnhartsubstanzen statt. Die Vorbereitung erfolgt meist für eine konservierende oder prothetische Zahnversorgung. Wenn nun aber Weichgewebe mittels besonderer Maßnahmen so präpariert (vorbereitet) werden muss, dass danach eine Zahnversorgung (z.B. Inlayeingliederung) nach den anerkannten Regeln der Zahnmedizin erfolgen kann, dann wird dieses „Weichgewebsmanagement“ mit allen dazu erfolgten Einzelmaßnahmen einmal in der Sitzung je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich nach Nr. 2030 GOZ berechnet. Das kann zum Beispiel nötiges erneutes Fäden legen zur temporären Gingiva-Verdrängung und Sulkuskonditionierung sein, z.B. in einer gesonderten Abformungssitzung oder in einer Eingliederungssitzung.

Zur unmissverständlichen Klarstellung:
„Separieren“ ist naturgemäß eine direkt Zahn bezogene Leistung, „Beseitigen störenden Zahnfleisches“, „Stillung einer übermäßigen Papillenblutung“ ist keine Leistung am Zahn (Hartgewebe), sondern immer eine Leistung am Weichgewebe!

Füllen von Kavitäten

Was sind Kavitäten? Natürlich sind es in erster Linie zweckmäßig (füllungsgerecht) subtraktiv umgeformte Zahndefekte. Und die müssen nicht unbedingt durch Karies verursacht sein, sondern könnten durch Fraktur, Lösen einer Restauration oder als Abnutzungserscheinung (Abrasion, Usur etc.) entstanden sein. Kavitäten müssen nicht unbedingt vor ihrer fachgerechten Restauration subtraktiv präpariert werden. Und es gibt auch zu füllende natürliche Defekte wie lokale Mineralisationsstörungen, Fehlbildungen, Foramina etc.

Darstellung von Präparationsrändern

Und dann kommt „tiefwurzelndes Unkraut“ zwischen den Beihilfebestimmungen durch (Zitat Beihilfe):
Die Maßnahme nach Nummer 2030 GOZ kann nicht gesondert zur Darstellung von Präparationsrändern bei einer prothetischen Therapie oder der Versorgung mit Einlagefüllungen angesetzt werden, da sie Bestandteil der Abformung und daher der Leistungen nach den Nummern 2150 bis 2170, 2200 ff. und 5000 ff. GOZ ist.“

Nun doch wieder keine 2030 GOZ bei Inlay- und Kronenpräparation? Das ist doch das Gegenteil der vorangehenden Beihilfedarlegungen und somit unsinnig.

Hier kommt alte Fehlkommentierung hoch, die selbst in der gesetzlichen Krankenversicherung seit Jahren unzutreffend wäre (BEMA-Ziff. 12 bMF):

„Wird störendes Zahnfleisch … zur Darstellung der Präparationsgrenze oder zur subgingivalen Stufenpräparation lediglich verdrängt, ist die Pos. 12 (besondere Maßnahmen beim Präparieren) abrechnungsfähig.“

Die Beihilfekommentierung „nicht bei Inlays und Kronen“ liegt neben der Realität, wird aber gerne als - jedermann verwirrende – Begründung für Mindererstattung verwendet. Nachfragen oder Einsprüche seitens der Betroffenen findet mangels Verständnis der krausen Beihilfeformulierung oft nicht statt.

„Besondere Maßnahmen“ sind keine üblichen!  

Nur übliche - also obligate - können dem Grunde nach Bestandteile gemäß § 4 Abs. 2 GOZ sein: Daher sind sie keineswegs bereits in Inlay- oder Kronenversorgung eingeschlossenen, ansonsten wären sie keine „besonderen Maßnahmen“.

Anlegen, Herstellen, Ausformen, Glätten etc. von Präparationsrändern ist unzweifelhaft Teil der gesamten Präparationsleistung z.B. für eine Krone. Aber es wäre unsinnig zu behaupten, dass alle besonderen Maßnahmen während des Präparierens von Kronen, Veneers etc. Bestandteil der Leistungen nach den Nummern 2200 ff. und 5000 ff. seien. Es ist auch schlicht falsch zu behaupten, dass besondere Maßnahmen beim Präparieren nicht im Effekt auch der sauberen „Darstellung“ von Präparationsrändern dienen könnten, im Sinne von sichtbar- und zugänglich bzw. kontrollierbar machen. Genaue Textbetrachtung macht erst den ganzen Widersinn erkennbar: „Die Maßnahme kann nicht gesondert … angesetzt werden“. Was heißt hier gesondert? „Alleine ohne weitere besondere Maßnahmen“ oder „isoliert ohne Weiterbehandlung in der Sitzung“ oder „nicht einzig und alleine für die Darstellung eines Präparationsrandes“?

Noch einmal „Unkraut jäten?

Sie  (Nr. 2030) kann auch nicht im Rahmen einer KFO-Behandlung zum Tragen kommen.“

 „Kfo-Behandlung“ ist ein weites Feld und gebührentechnisch in dem Zusammenhang ein unbestimmter Begriff. Aber kürzen wir den Weg des Erkennens ab: Gemeint ist in typischer Unschärfe des Beihilfeerlasses, dass bei fester Eingliederung Zahn bezogener Kfo-Hilfsmittel wie Brackets/ Attachments oder Bänder etc. keine „besonderen Maßnahmen“ anfallen könnten. Das ist aber zahnmedizinisch nicht richtig.  

Natürlich kann u. A. vor dem Setzen von Bändern eine interdentale, subtraktive Präparation z.B. mittels diamantiertem Streifen (Stripping) o. Ä. erfolgen. Es kann zuvor auch Zahn bewegende Separation erforderlich sein und ggf. kann es dabei zu stillungsbedüftiger Blutung, nötiger Papillenverdrängung etc. kommen. Auch eine vestibuläre Glättungs-/ Einebnungs- oder Entfernungspräparation vor einer Bracketeingliederung kann derartige besondere Maßnahmen bedingen.

Zu einer approximalen Schmelzreduktion (ASR) sagt die Beihilfe:

Für die approximale Schmelzreduktion wird der analoge Ansatz der Nummer 2030 GOZ als angemessen angesehen.“

Die Beihilfebestimmung sieht „die approximale Schmelzreduktion“ in der Einzahl (Singular) als eine Analogleistung. Sie ist eine eindeutig Zahn bezogene Leistung „je Zahn“.

Die Vergütung für eine ASR (1x 2030a) würde also durchschnittlich 8,41 € betragen für ca. 1,5 bis 2,5 Minuten möglichen zahnärztlichen Aufwands für diese eine Analogleistung .

Bei einer Vergütung von durchschnittlich 8,41 € kann eine ASR gemäß Beihilfesicht keine umfassendere Leistung sein! Zu systematischer ASR sagt die Beihilfe in Ihrer Anlage 7 gar nichts. - Es wäre dafür eine höher bewertete Analogziffer erforderlich:

Das VG Köln (16.07.2013, Az. 19 K 2529/13) hatte in einer gerichtlichen Verfügung festgestellt, dass bei Zahngrößendiskrepanzen die kieferorthopädische approximale Schmelzreduktion (ASR) je Kiefer, berechnet analog GOZ-Nr. 2200 ("Tangentialpräparation", dort mit Faktor 1,15-fach), eine angemessene Gebühr darstellt.

 

© Dr. Peter H. G. Esser