DZW-Artikel – Erstattereinwände in 2020 zur Nr. 9100 „Augmentation“

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Inhalt

Bei den Einwänden der Kostenerstatter zu konkreten Gebührennummern des GOZ-Abschnitts „Implantologie“ liegt die Nummer 9100 GOZ sehr weit vorne. Auf diese Gebührennummer beziehen sich fast vierzig Prozent aller Einwände im Jahr 2020. In den Vorjahren (2018-2019) lag die Zahl sogar fast bei 50%.

Tabelle 1: Übersicht zum Beanstandungsgeschehen

Die Leistungsbeschreibung  lautet:
Aufbau des Alveolarfortsatzes durch Augmentation ohne zusätzliche Stabilisierungsmaßnahmen,
je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich
“.

Die Berechnungsbestimmung dazu ist ein wenig komplizierter:

Mit der Leistung nach Nr. 9100 sind folgende Leistungen abgegolten:

Lagerbildung, Glättung des Alveolarfortsatzes, gegebenenfalls Entnahme von Knochen innerhalb des Aufbaugebietes, Einbringung von Aufbaumaterial (Knochen und/oder Knochenersatzmaterial) und Wundverschluss mit vollständiger Schleimhautabdeckung, gegebenenfalls einschließlich Einbringung und Fixierung resorbierbarer oder nicht resorbierbarer Barrieren“:

Probleme bei der Auslegung der Nr. 9100 GOZ rühren vom Charakter der Leistung her und von der komplizierten Leistungsbeschreibung, zusätzlich ausgestattet mit sechs (obligaten, z.T. fakultativen) Teilleistungen:

  1. Lagerbildung,
  2. Glättung des Alveolarfortsatzes,
  3. Entnahme von Knochen innerhalb des Aufbaugebietes,
  4. Einbringung von Aufbaumaterial (Knochen und/oder Knochenersatzmaterial) 
  5. Wundverschluss mit vollständiger Schleimhautabdeckung,
  6. Einbringung und Fixierung resorbierbarer oder nicht resorbierbarer Barrieren

Zu a): Die Leistung „Lagerbildung“ bzw. Knochenlagerbildung ist mit Nr. 9100 abgegolten, also nicht zusätzlich berechnungsfähig. Die GOÄ-Nr. 2730 „Aufbaulagerbildung“ kann aber ebenfalls nicht zur Alveolar-Augmentation nach 9100 in der Zahnmedizin hinzutreten.

Die GOÄ-Nr. 2730 „Aufbaulagerbildung“ aus Abschnitt IX der GOÄ ist aber nicht beschränkt auf den Einsatz bei Kieferbruchbehandlung.

Zu b): Zur Ausdehnung des Gebietes der abgegoltenen Alveolarglättung präzisiert die 1. Berechnungsbestimmung zur Nr. 9100, dass die Glättung „des Alveolarfortsatzes im Bereich des Implantatbettesnicht berechnungsfähig“ ist. Die Nr. 9100 GOZ „Augmentation“ ist aber definiert als eine Leistung, die einmal „je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich“ berechnungsfähig ist. Das bedeutet: Präprothetische Glättung des Alveorlarfortsatzes nach Nr. 3230 GOZ kann im selben Kiefer außerhalb des Implantatbettes einmal als selbständige Leistung berechnet werden. Das bedeutet, die präzise Regionangabe bzw. das OP-Gebiet (die Lappenbildung) zur Nr. 9100 darf sich bei zusätzlicher Knochenresektion im selben Kiefer nicht überlappen (§ 4 Abs. 2 GOZ) mit dem Gebiet der Nr. 3220 GOZ.
Beispiel: Das OP-Gebiet/die Lappenbreite für Nr. 3230 in Region 28- 25 weist keine Überschneidung mit einem Augmentationsgebiet 22-12 auf: Beide Leistungen (3230 und 9100) sind in dieser Fallkonstellation selbständig berechnungsfähig.
Zu c): Knochenentnahme (auch Auffangen, Sammeln usw.) innerhalb des Aufbaugebietes ist ebenfalls in Nr. 9100 GOZ enthalten (keine- fehlgedeutete - Nr. 9090 zzgl.).
Knochenentnahme andernorts wird nach Nr. 9140 einmal oder bei Blöcken mit zweimal 9140 GOZ berechnet. 

Zu e): „Wundverschluss mit vollständiger Schleimhautabdeckung“ ist ebenfalls in der Leistungsbeschreibung der Nr. 9100 GOZ enthalten. Der häufig vorgetragene Einwand, vollständiger Wundverschluss sei aber nicht erreichbar gewesen und daher eine komplizierte plastische Deckung erforderlich geworden, ist in der Regel nicht zwingend. Solange (u. A.) Schleimhautverschiebung hinreichend ist, handelt es sich bei der (weitgehend) plastischen Deckung um eine mit Nr. 9100 abgegoltener Leistung. Und es muss nicht vollständiger Wund-verschluss, sondern vollständige Wund-abdeckung erreicht werden (Transplantat, Membran, Verbandplatte etc.).  

Zu f): Leistungsort für eine Augmentation ist der Alveolarfortsatz. Die Leistungsbeschreibung der Nr. 9100 GOZ enthält keine näheren Angaben zur Lokalisation der Augmentation. Der wenig sinnvolle Streit, ob Augmentation nur in unbezahnten oder nicht mit Implantaten versorgten Alveolarkamm-Abschnitten erfolgen kann, wird man sich ersparen mit einer präzisen Regionangabe wie „22-12 krestal und vestibulär“.

Die „heiße“ Diskussion, die Angabe der Region 22-12 sei falsch, weil die Lappenbreite eigentlich 23-13 sei wegen Schnittführung auf dem gesunden Nachbarknochen, ist ebenfalls müßig: Es wird die tatsächliche Lage der Schnittführung protokolliert. 

Tabelle 2: Einwände speziell zur Nr. 9100 GOZ

Indikation zur Augmentation

Bei zu geringem Knochenangebot zur Implantation oder zur prothetischen Versorgung im Leerkieferbereich kann durch laterale und/oder krestale Apposition von Knochen und/oder Knochenersatzmaterial (Augmentation) eine Verbreiterung und/oder Erhöhung des Alveolarfortsatzes der Kiefer durch Umbau und Einbau der Materialien und Reifung zu neuem Knochen erreicht werden.

Augmentation kann auch im bezahnten, teilbezahnten und/oder bereits mit Implantaten versorgten Alveolarbereich erforderlich werden, insbesondere bei schwach ausgeprägten oder geschwundenen vestibulären Knochenanteilen. Diese überwiegend laterale Knochenaufdickung erfolgt parodontal-restaurativ, präprothetisch oder präimplantologisch.

Inhalt der Augmentationsleistung sind - außer ggf. nötigen Stabilisierungsmaßnahmen und Knochenentnahme außerhalb des Operationsgebietes - alle dazu nötigen Teilleistungen bis hin zum Wundverschluss mit vollständiger Schleimhautabdeckung.

In besonderen Fällen, z.B. bei Anformung und Auflagerung von Knochenstücken, -spänen oder -blöcken ist die Stabilisierung dieser Knochenteile am Kieferknochen erforderlich, entweder durch Osteosynthesemaßnahmen (u. A. nach 9150 GOZ) oder Transfixation mittels Implantaten (9010) oder Hilfsimplantaten (9020).

Orts- und zeitgleich mit der äußeren Augmentation des Alveolarfortsatzes ist eine interne Erhöhung des Kieferknochens in Form des „Sinuslifts“ (9110, 9120)  mit internem oder externem Zugang  möglich. Die Halbierung bzw. Drittelung der Gebühren n. 9100 wird dabei manchmal vergessen.

Ebenso ist es möglich, bei nicht hinreichendem Zugewinn an reifem Knochen später eine weitere Augmentation am Ort durchzuführen und erneut zu berechnen.

Streitpunkte

Hinter der Sammelüberschrift „Einwände zu Nr. 9100 GOZ“ verbergen sich eine Reihe von Sachverhalten:

Strittige Diskussion zur Ansatzhäufigkeit in einer Kieferhälfte (einmal – unabhängig wie ausgedehnt) sind nicht selten, ebenso zur Berechnung der Nr. 9100  neben weiteren chirurgischen Leistungen sowie Abgeltung von Leistungen gemäß  Berechnungsbestimmung.

Zum Streit trägt als herausragender Grund die von § 10 Abs. 1 GOZ geforderte Angabe der OP-Region bei, die oft ganz fehlt oder nicht unbedingt logisch erscheint oder sich mit anderen Regionangaben überschneidet. Die OP-Region eines einzelnen Prämolars lateral (vestibulär) zu augmentieren ist technisch und zahnmedizinisch möglich. Aber eine dort tatsächlich erfolgte Leistung „Socket-preservation“ (4110 GOZ, Alveolenauffüllung zum weitgehenden Knochenerhalt) ist wahrscheinlicher. Regiongleiche Osteosynthesefixation (9150, plus Membran- und/oder Schrauben-/ Pinverbrauch) eines vestibulären Knochenstücks mit identifizierbarer Entnahmelokalisation nach (2x) 9140 GOZ (zzgl. dortige Anästhesie und Versorgung) untermauern das Aufbaugeschehen dagegen plausibel.

Abgegoltene Leistungen bedingen häufigsten Streit

„Einbringung von Aufbaumaterial (Knochen und/oder Knochenersatzmaterial)“ ist im eigentlichen Augmentationsgebiet eine eingeschlossene, also abgegoltene Leistung - aber z.B. nicht in einer selbständigen Alveole in derselben Kieferhälfte (4110) oder an einem davon unabhängig inserierten Implantat (9010 plus 9090 GOZ). Dazu Regionangaben wie z.B. 26-28: „Augmentation“, 23: „Implantatinsertion“ plus „Knochendefektfüllung“ und 22, 21: „Socket-preservation“.  

„Wundverschluss mit vollständiger Schleimhautabdeckung“ ist im Augmentationsgebiet selber mit Nr. 9100 abgegolten, ebenso wie „Einbringung und Fixierung resorbierbarer oder nicht resorbierbarer Barrieren“ (z.B. Membran, Netz, Lochplatte). Vollständige Schleimhautabdeckung erfordert u.U. auch eine Wundverschlussplastik, die aber dennoch mit Nr. 9100 abgegolten ist. Ortsgetrennte Vestibulumplastik mit anderer, eigenständiger Indikation, im obigen Beispielfall möglicherweise in regio 24, 23, bleibt aber nach 3240 GOZ zusätzlich berechnungsfähig.

Hieran schließt ein Urteil des VG Karlsruhe (12.11.2015, Az. 9 K 2979/12) folgerichtig an. Das besagt, dass Zahnextraktion plus Knochenaufbau nicht Bestandteil der beihilfetechnisch auf eine bestimmte Anzahl beschränkten Implantationsleistung ist.

ARTIKEL VON: DR. PETER ESSER