Der Vierjahreszeitraum in der Kieferorthopädie

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Inhalt

Stellungnahme zu der von der Beihilfestelle der Bezirksregierung vertretenen Auffassung folgenden Inhaltes (Zitat):

"Für einen Verlängerungszeitraum der ursprünglichen Kieferumformung kann regelmäßig pro Jahr der Weiterbehandlung ein Viertel der jeweils vollen Gebühr unter Berücksichtigung der Kriterien des § 5 Abs. 2 GOZ als angemessen angesehen werden (Beschluss des Bay. Verwaltungsgerichtshofes vom  24.03. 1997 - 3 B 95.1895 - vgl. Nr. 28 Teil B der Anlage 7 zur BVO NRW)."

Die GOZ kennt keine KFO-Viertelgebühren 

Festzuhalten ist, dass der Beihilfebescheid auf subjektiver Auslegung der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) beruht, jedoch auf die Rechnungslegung des Zahnarztes keine Bindungswirkung entfaltet.

Die von der Beihilfestelle der Bezirksregierung vertretene Auffassung ist bekannt, wird relativ selten vorgetragen und ist grundsätzlich rechtsbedenklich, weil sie einseitig das materielle Risiko langer Behandlungsdauer auf den Behandler verlagert, unabhängig von den Ursachen für nötigen zeitlichen Mehraufwand und vom Zeitpunkt der Feststellung eines derartigen Mehraufwandes.

Die einschlägigen Berechnungsbestimmungen zu den Nrn. 6030-6080 GOZ lauten:

"Die Leistungen nach den Nrn. 6030 bis 6080 umfassen alle im Behandlungsplan festgelegten Maßnahmen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu vier Jahren.“

„Die Maßnahmen im Sinne der Nrn. 6030 bis 6080 umfassen alle Leistungen zur Kieferumformung und Retention bzw. zur Einstellung des Unterkiefers in den Regelbiss innerhalb eines Zeitraumes von bis zu vier Jahren, unabhängig von den angewandten Behandlungsapparaturen oder den verwendeten Therapiegeräten." 

- Auch unabhängig vom Restbehandlungsbedarf nach Ablauf von vollen 4 Jahren.

Anzumerken ist zu diesen Berechnungsbestimmungen, dass sie einen selbständigen Vierjahreszeitraum umfassen, also keine abweichende Feststellung dazu enthalten, welche Berechnung bzw. Berechnungsweise in einem folgenden - wiederum maximal - Vierjahreszeitraum zu erfolgen hätte.

Anzumerken ist auch noch, dass die Berechnungsbestimmungen so wie die gesamte GOZ den von der Beihilfe verwendeten Begriff des "Verlängerungszeitraums" nicht kennen: Es gibt keine Verlängerungen in der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ).

 Die GOZ kennt lediglich den "Erkrankungsfall", der maximal auf vier Jahre kieferorthopädischer Behandlungs- und Retentionszeit begrenzt ist; danach gibt es ggf. einen zweiten Krankheitsfall bzw. Erkrankungsfall.. 

 Die Beihilfebestimmung widerspricht den Bestimmungen der GOZ, obwohl sie sich nach der GOZ auszurichten hat: Wenn der maximal Vierjahreszeitraum für die im Behandlungsplan (eigentlich „Heil- und Kostenplan“) festgelegten Leistungen nach 6030 oder 6040 oder 6050 (dito 6060-6080) GOZ abgelaufen ist, aber noch Behandlungsbedarf feststellbar ist, dann muss ein neuer Behandlungsplan für die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Befunde aufgestellt werden: Es wird ein neuer HKP nach 0040 GOZ erforderlich. 

Einstufungskriterien zum Umfang der Behandlung

Die Kriterien zur Einstufung des restlichen Behandlungsbedarfs sind dieselben wie vor dem ersten Vierjahreszeitraum:
Die Erfordernis einer Behandlung ist wieder grundsätzlich und dem Umfang nach festzustellen und zu dokumentieren. Logisch ist, dass in aller Regel der dann noch verbliebene Behandlungsumfang geringer ist als der ursprüngliche. Die Berechnung der Nrn. 6030-6080 im zweiten Krankheitsfall erfolgt gebührentechnisch prinzipiell der Berechnung im ersten, immer unter der Voraussetzung tatsächlich (vollständig) erbrachter Leistungen nach den Nrn. 6030-6080.

 

Nun aber ab Neuplanung pro Jahr nur noch ein Viertel des tatsächlichen verbliebenen Behandlungsumfangs zu erstatten, ist widersinnig und unlogisch: Diese Erstattungsweise geht wohl davon aus, dass die Weiterbehandlung nach 6030-6080 auch wieder vier Jahre benötigen würde. Das ist theoretisch möglich, aber oft nicht nötig. Die GOZ sieht in § 10 (2) 1 vor, dass eine voll erbrachte Leistung, unabhängig davon, welcher Zeitraum dafür benötigt wird, auch voll berechnet werden kann. Und die GOZ kennt weder "Abschläge" noch "Viertelgebühren" etc.; die können allenfalls mit dem Zahlungspflichtigen vereinbart werden.

 Das in der Beihilferichtlinie angeführte Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes - (Az. 3 B 95.1895) - ist schief wiedergegeben. Es besagt wirklich, dass sich in einem ggf. nötigen zweiten, maximal wieder Vierjahreszeitraum, der verbliebene Behandlungsumfang geringer (Bruchteil des ursprünglichen) als zu Beginn darstellen müsste. 
Falls die neue Einstufung nach 6030-6080 tatsächlich im Sonderfall wieder wie bei Behandlungsbeginn erfolgen müsste (z.B. nach wie vor "mittlerer Umfang"), dann müsste zumindest der Gebührensatz - "Schwellenwert" (Urteilszitat) - in der Regel niedriger liegen.

Beschluss - kein Urteil

Ersichtlich geht der Beschluss des bayrischen VGH (Az. 3 B 95.1895) von der fachlich abwegigen Annahme aus, dass der kieferorthopädische Befund am Ende des Vierjahreszeitraums mit den gleichen Umfangeinstufungen und Gebührenziffern (6030-6080 GOZ)  wie vor dem ersten Vierjahreszeitraum zutreffend diagnostiziert und fortgeführt würde? 

Gegen die Auslegung der Beihilfe spricht auch, dass man in keinem Fall davon ausgehen kann, dass der VGH eine vollständige Neubefundung zur Feststellung des tatsächlich verbliebenen Behandlungsbedarfs bzgl. Kieferumformung und Regelbisseinstellung als überflüssig angesehen hätte.

Es ist folgendes Fazit zu ziehen: Ebensowenig wie die Beihilfe dem Zahnarzt vorschreiben  kann, wie seine Behandlung abgerechnet wird, kann der Rechnung austellende Zahnarzt die Beihilfe zu einer bestimmten Erstattung veranlassen. 

Die Beihilfe dagegen kann im Einklang mit der GOZ die Gebühren nach den Nrn. 6030-6080 GOZ bis zu ihrer vollständigen Erbringung – ggf. sogar bis zum Ende eines Vierjahreszeitraums gar nicht erstatten, also damit bis zur Vorlage einer (eventuell separaten) Schlussrechnung über die Nrn. 6030-6080 GOZ warten. So zu verfahren würde sich im Laufe der Zeit zu einer "unbilligen Härte des Dienstherren" gegen einen Fürsorgeberechtigten auswirken: Der muss z.B. eine rechtswirksame Zahlungsvereinbarung mit dem Behandler gemäß tatsächlicher erfolgter Behandlung im vereinbarten Zeitraum einhalten.

Der Kieferorthopäde wird zu dem Zeitpunkt, zu dem die Behandlung gemäß Planung im ersten oder am Ende des ersten Vierjahreszeitraum beendet ist, eine Schlussrechnung zu den Nrn. 6030-6080 GOZ schreiben - selbstverständlich unter Anrechnung bis dahin gezahlter Teilbeträge auf die Summen der Nrn. 6030-6080 GOZ.

© Dr. Peter H. G. Esser