Einwände gegen Analogberechnung

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DZW-Artikel von Dr. Esser aus KW 11

Im Jahr 2019 führte die durch DIE ZA erhobene Beanstandungsstatistik auf dem Spitzenplatz die „Einwände gegen Analogberechnung" an (siehe DZW 6. bis 10. KW). Das ist so seit der Novellierung der GOZ zum Jahr 2012. An zweiter Stelle standen seit 2016 dann stets die Einwände gegen das Bemessen und Begründen der Gebührenhöhe.

Deren Vorrücken auf der Beanstandungsskala von Platz 5 in 2015 auf Platz 2 in 2016 kam unerwartet. Das neue Ranking von „Bemessen und Begründen“ kann aber nicht auf einem Zufall beruhen, denn der zweite Platz wurde seither beständig eingenommen. Eine veränderte Erstattungspolitik könnte einer der Gründe sein.

Wenn man einen Blick auf die Tabelle zum Beanstandungsgeschehen wirft, erkennt man ein weiteres Phänomen: Zwei Drittel aller Einwände sind „Rundum-Ablehnungen aus Prinzip“ ohne jegliches konkretes Argument. Beispiel: „Begründung nicht ausreichend!“ – Ende der Durchsage. Auf diese offenkundige „Amtspflichtverletzung“ muss reagiert werden.

In dem aufgeführten Prozentsatz von mehr als 67 % sind auch die Fälle einbezogen, wo zwar seitens Beihilfe, Post oder PKV (in dieser Reihenfolge) ein Ablehnungsargument vorgetragen wurde, dieses aber völlig quer lag: Manchmal wurden z. B. zu ganz anderen Sachverhalten Seiten gefüllt, manchmal wurde als einziger Grund eine von irgendeinem Amts- oder Verwaltungsgericht abgelehnte Begründungsformulierung zitiert, ohne dass deren Worte und Inhalte auch nur annähernd auf der streitigen Rechnung aufgeführt waren. Neben der enormen Zeitvergeudung ergibt ein derartiges Vorgehen keinen Sinn, außer als Versuch einer Zermürbungstaktik zur Vermeidung von Widerspruch?

Einwände zum Bemessen und Begründen der Gebührenhöhe in 2019

Berechnung von überdurchschnittlichen GOZ-Faktoren

1. Ablehnung ohne jedes/mit falschem Argument 67,1 %  
2. Begründung nur personen-/patientenbezogen 22,6 %  
3. Begründung nicht ausreichend, mehr verlangt 5,4 %  
4. Faktor zu hoch/mit begründeter Ablehnung 4,9 %  



Aber wie umgehen mit diesem Riesenproblem, mit der Sinnlosigkeit jeglicher Aktivitäten auf der dargestellten Basis? Da ist guter Rat schwierig, aber es gibt ihn. Er lautet: Der Rechnungsaussteller darf sich auf keinen Fall auf die von Beihilfe, Post oder PKV aufgebaute Argumentationsschiene mit Zwangsführung setzen lassen, die wie eine unaufhaltbare Abwärtsrutsche wirkt.

Dazu zwei vorbeugende Brieftexte als Beispiele:

1. Spezieller Brieftext an den Zahlungspflichtigen(zur Weiterleitung an die Beihilfestelle)

Sehr geehrte/r Frau/Herr Mustermann,

bitte haben Sie Verständnis dafür, aber ich sehe wegen fehlender Angaben keine Möglichkeit, zur beihilfeseitigen Anerkennung der Begründung eine brauchbare Antwort zu geben. Es bleibt völlig unklar, was sich die Beihilfe vorstellt, was konkret erfolgen soll. Und ich habe auch wenig Motivation, das zu erforschen, denn die Behauptung im Beihilfebescheid ist ehrenrührig: Wenn ich einen erhöhten Gebührensatz berechnen muss, dann liegen die auf der Rechnung festgehaltenen Fakten auch tatsächlich vor, sind keinesfalls bereits in der Leistungsbeschreibung enthalten und sie sind so gewichtig, wie ich sie mit Sachverstand bemessen und mit Sorgfalt eingestuft habe.

Sie legen mir einen schriftlichen „Vermerk zum Beihilfeantrag“ vor, in dem ein vorgedruckter, ganz allgemeiner und völlig nichtssagender Text angekreuzt ist:

„Die Überschreitung der/des nachfolgend aufgeführten Schwellenwerte/s kann beihilferechtlich nicht anerkannt werden, da
3. die genannte/n Besonderheit/en bereits in der Leistungsbeschreibung des Gebührenverzeichnisses berücksichtigt sind und in der Spanne vom einfachen bis zum 2,3-/1,8-/1,15-fachen Gebührensatz ausgeglichen werden können.“

Meine Stellungnahme dazu lautet:
Die Begründungen sind gebührenrechtlich ausreichend für das Überschreiten des Durchschnittssatzes (gem. § 5 Abs. 2 i. V. m. § 10 Abs. 3 Satz 1  GOZ).

Die schwammige Formularstellungnahme der Beihilfestelle ist falsch. Die Beihilfe stellt Behauptungen über angeblich enthaltene Besonderheiten auf, die unzutreffend sind. Die Beihilfe stellt darüber hinaus frei erfundene und unzutreffende Behauptungen über das geringe Ausmaß dieser Besonderheiten im konkreten Behandlungsfall auf.

Die Beurteilung der von mir persönlich abgegebenen zahnärztlichen Begründung durch einen Sachbearbeiter der Beihilfestelle, der naturgemäß bei der Behandlung nicht zugegen war und keine Kenntnisse vom tatsächlichen Krankheitsfall hat, stellt für einen zahnmedizinischen Laien im Effekt fast eine „Anmaßung“ dar. Zumindest handelt es sich um eine grobe Ungehörigkeit. Wenn der Beihilfesachbearbeiter schreibt, dass die genannten Besonderheiten bereits in der Leistungsbeschreibung berücksichtigt seien und in der Spanne vom einfachen bis zum durchschnittlichen Gebührensatz ausgeglichen werden können, dann heißt das im Klartext:
Es haben keine besonderen Schwierigkeiten vorgelegen; es wurde kein besonderer Zeitbedarf erforderlich und besondere, die Behandlung beeinflussende Umstände haben auch nicht vorgelegen. Der Behandler hat einfache bis durchschnittliche Tatbestände falsch dargestellt oder ohne Rücksicht auf angemessene Gebühren falsch eingestuft. Das ist grob falsch!

Es wurde im Übrigen routinemäßig jedweder erhöhte Gebührensatz verworfen, ganz offensichtlich ohne sich die Begründungen genauer anzuschauen: Die Begründungen sprechen in aller Deutlichkeit nur solche Besonderheiten an, die in der jeweiligen Leistungsbeschreibung objektiv nicht enthalten sind und auch gar nicht enthalten sein können. Ein Beispiel: Nr. 0090 GOZ (Faktor 2,9) – die zugrunde liegende Leistung heißt „Intraorale Infiltrationsanästhesie“. Die Begründung dazu lautet als nicht gekürzter Originaltext: „Deutlich überdurchschnittlicher Zeitaufwand wegen Hyperästhesie und extrem schnellem Nachlassen der Wirkung; wiederholtes Nachinjizieren notwendig.“

In der Leistungsbeschreibung der Ziffer 0090 GOZ ist weder von Hyperästhesie, noch von extrem schnellem Nachlassen der Wirkung, noch vom wiederholten Nachinjizieren die Rede.

Das Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes ist verordnungsgemäß nicht der Regelfall, jedoch unter Beachtung der Sonderregeln im § 5 Abs. 2 GOZ regelrecht und, wenn wie vorliegend aus der Behandlung heraus notwendig, auch regelmäßig möglich.

 

2. Brieftext an den Zahlungspflichtigen (zur Weiterleitung an die Beihilfestelle)

Sehr geehrte/r Frau/Herr Mustermann,

zur Ablehnung der Gebührenhöhe ist routinemäßig der kürzende Bleistift an jeden erhöhten Gebührensatz angesetzt worden. Eine solche Handlungsweise ist rechtswidrig im Sinne der BVO, wie das OVG Bremen in einem einschlägigen „Routinekürzungs-Urteil“ ausgeführt hat.

Die Einlassung der Beihilfestelle, der Zahnarzt wäre der Begründungspflicht gemäß § 10 Abs. 3 GOZ gar nicht oder dann abgeschwächt „nicht ausreichend“ nachgekommen, ist eine Entgleisung. Die Beihilfestelle schreibt:
... , da die abgegebene Begründung in ihrer allgemeinen, nicht auf den Einzelfall bezogenen Form beihilferechtlich nicht ausreicht.“

Mit dieser Formulierung ist irgendeine Begründung ohne Möglichkeit zur Identifizierung angesprochen. Da aber jeder Steigerungsfaktor auf der Rechnung schriftlich begründet ist, erscheint eine so pauschale Behauptung ohne jeden Beleg unglaubhaft und willkürlich:

  •  Warum reicht welche Begründung angeblich nicht aus?
  •  Was genau reicht an welcher Begründung nicht aus?
  •  Wo verstößt eine Begründung gegen die Vorgaben des § 5 Abs. 2 GOZ?
  •  In welchem Punkt entspricht auch nur eine einzige Begründung nicht den formalrechtlichen Vorgaben des § 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ?

Ich kann nicht umfangreich tätig werden, ehe diese Angaben nicht gemacht werden!

Da die Beihilfeeinlassungen derart unsubstantiiert und unverständlich sind, kann beim besten Willen von mir als Behandler nicht detailliert darauf geantwortet werden. Ich weiß schlicht nicht, worauf ich antworten soll!

Beihilfeseitig derart pauschal etwas aufs Papier zu werfen und vom behandelnden Zahnarzt dann „wer weiß was“ zu verlangen, dies aber ausführlich, eindeutig, verständlich, oder was auch immer man sich unter „ausreichend“ vorstellt, ist mit Verstand kaum nachvollziehbar und auf jeden Fall überzogen.

Ich gebe hiermit die zurzeit möglichen Grundsatzfeststellungen für die Versicherung/Beihilfe:

Alle Begründungen entsprechen den gebührenrechtlichen Anforderungender GOZ.

  • Das „Bemessungskriterium“ des § 5 Abs. 2 GOZ ist eindeutig und unübersehbar bei jedem einzelnen Begründungstext angegeben.
  • Das jeweilige Kriterium des § 5 Abs. 2 GOZ ist in eindeutiger Weise der Höhe nach bemessen worden, mit zugehöriger Nennung der Vergleichsgrundlage, auf die sich das Bemessen bezieht (in den vorliegenden Fällen sowohl der Durchschnittssatz des Gebührenrahmens als auch der Höchstsatz als Bezugsbasis).
  • Die angegebenen Begründungen legen in nachvollziehbarer und fachlich logischer Weise Fakten und Tatsachen dar, die zu der erfolgten Einstufung der Bemessungskriterien ursächlich waren.
  • Die angegebenen Begründungen sind „individuell“, da sie auf einen besonderen Sachverhalt der konkreten Behandlung in Verbindung mit ganz speziellen Besonderheiten der dentalen Erkrankung bezogen sind.
  • Die Begründungen sind „patientenbezogen“; sie sind eindeutig auf die speziellen Gegebenheiten bei der Behandlung des Patienten … bezogen.
  • Die tatsächlichen Umstände wiesen den in den Begründungen angegebenen – im mindesten Fall deutlich überdurchschnittlichen – Zeitbedarf auf und die angeführten besonderen Umstände bei der Ausführung der Leistung bzw. Durchführung der Behandlung. Hieran zu zweifeln, hieße dann in letzter Konsequenz, falsche Abrechnung zu unterstellen.

Angesichts der Vielzahl offener Fragen kann ich die auf der Rechnung aufgeführten – an sich selbst erklärenden – Begründungen zurzeit kaum gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 GOZ erläutern, da spezifische Fragestellungen nicht vorliegen.

 

© Dr. Peter H. G. Esser